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Salzträume 1: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)

Salzträume 1: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)

Titel: Salzträume 1: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ju Honisch
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Einschränkungen, die die bessere Gesellschaft jungen Damen auferlegte, als ermüdend empfunden.
    „Halten Sie still! Hören Sie auf zu wackeln, oder ich werde es nie schaffen, Ihr Haar hochzustecken“, schimpfte Anna. Bediensteten, die einen sein ganzes Leben lang kannten, gelang es schlichtweg nicht, einen als eine erwachsene Frau anzusehen. Für Anna war Charly immer noch das wilde kleine Mädchen in kurzen Röcken, das immer zu weit von daheim fortstreunte und meist mit zerrissenem Kleidchen wiederkam. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, allzuviel hatte sich nicht verändert, obgleich Charly, die inzwischen die Dame des Hauses war, versuchte, sich etwas rücksichtsvoller zu benehmen.
    Doch in diesem Augenblick gab es kein Entkommen. Charly saß vor dem Spiegel und mußte Annas Verschönerungsversuche über sich ergehen lassen. Anna tat ihr Bestes, um ihr Haar kunstvoll aufzutürmen, aber da sie wenig Übung in dieser Kunst besaß, war das Resultat weder überwältigend noch modisch.
    Charly besah sich kritisch. Am besten gab sie es auf. Sie würde Leopold ohnedies nicht gefallen. Für eine Frau war sie viel zu groß, fast einen Meter achtzig in Strümpfen. Sie trug immerzu flache Schuhe. Das war unmodern, doch Absätze hätten sie noch größer erscheinen lassen. Sie war gut gebaut, mit breiten Schultern und einem athletischen Körperbau. Ihre Gesichtszüge waren harmonisch, aber unspektakulär, und niemand, der nicht völlig blind war, hätte sie als schön oder liebreizend bezeichnen können. Ihr rebellisches Haar war dunkel und lockig, ihre Augen mittelbraun. Ihre Nase unterstrich ihre Durchschnittlichkeit und war selbst genau das, nämlich durchschnittlich. Ihr Teint war bäuerlich sonnengebräunt. Nicht mit aller Kraft und sämtlichen Segnungen geheimer Verschönerungskunst hätte sie zierlich und vornehm blaß wirken können.
    Anna hatte ihr die Augenbrauen gezupft, und die viel zu dünnen Linien wirkten völlig deplaziert in ihrem wenig delikaten Gesicht. Ihre Sonnenbräune hatten sie unter einer Schicht Reispuder versteckt, doch die ließ sie nur scheckig aussehen.
    „Fräulein Charlotte, Sie müssen aufhören, dauernd zu zucken. So werden wir nie fertig und bereit, den Herrn von Waydt willkommen zu heißen.“
    Charly seufzte.
    „Es ist unerheblich, was du tust. Ich fühle mich nicht ‚fertig und bereit‘, und so sehe ich auch nicht ‚fertig und bereit‘ aus. Hätte er nicht noch etwas warten können? Zwei Jahre? Oder drei?“ Sie seufzte erneut. „Obwohl ich dann natürlich immer noch nicht hübscher wäre.“
    „Unsinn. Sie sind hübsch genug!“ schimpfte Anna, die sie mit den Augen der Ersatzmutter sah, denn sie hatte sie von klein auf heranwachsen sehen. „Sie mögen keine Schönheit sein, aber die Welt quillt nicht eben über vor betörenden Schönheiten. Sie sind gesund, intelligent und wissen sich anständig zu benehmen, wenn Sie wollen, und häßlich sind Sie überhaupt nicht. Sie haben ein äußerst charmantes Lächeln. Also lächeln Sie!“
    Charly zwang ihren Mund zu einem Grinsen und zuckte vor ihrem eigenen Spiegelbild zurück.
    „Großer Gott. Wie sinnlos!“ klagte sie und wurde sofort ermahnt, den Namen Gottes nicht zu mißbrauchen und besser darauf achtzugeben, was sie sagte.
    Das mußte sie in der Tat. Onkel Traugott nahm nie ein Blatt vor den Mund, und in letzter Zeit hatte sie angefangen, seinen lockeren Sprachstil nachzuahmen. Es war keine bewußte Entscheidung. Es war schlichtweg bequem zu sagen, was man meinte und zu meinen, was man sagte.
    Doch das würde nicht gehen. Eine wohlerzogene junge Dame konnte nicht gut ihre Sätze mit einem langgezogenen „Großer Gott!“ anfangen.
    Sie setzte sich aufrecht hin und bemühte sich um den Gesichtsausdruck, den man ihr im Pensionat eingebleut hatte. Ein zartes Lächeln, ein herablassender Blick, eine Maske perfekter Beherrschung. Aufrechte Haltung, ihr Kinn angehoben, ihre Schultern zurück.
    Das half etwas. Ihr grünes Kleid machte sie bleicher, als sie war, und ihr Dekolleté präsentierte in runder Fülle das, was die Herren der Schöpfung anscheinend gerne sahen. Es war ihr bestes Attribut. Doch so etwas konnte man natürlich nicht sagen.
    Anna versuchte, ihre Frisur mit einer seidenen Rose zu zieren.
    „Nein!“ wehrte sich Charly. „Ich bin nicht der Typ für so etwas.“ Es hatte eine Zeit gegeben, in der sie Blumen im Haar getragen hatte. Damals war sie so jung gewesen, und ihr Spiegel hatte noch keine Macht über

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