Salzträume 1: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
zurück. Mit jedem lebenstollen Tropfen klaren, kalten Wassers, der ihn berührte, schickte er seine Träume in die Ferne, reckte sich nach dem Denken und Fühlen der Wesen, die er nicht verstehen oder definieren konnte. Er reiste an deren Herzensbanden entlang. Diese Wege standen ihm offen, und sie waren starke Verbindungen, die Energielinien der Liebe.
Mit plötzlicher Klarheit begriff er, daß die Menschen, die ihn gefangengenommen hatten, nichts von alldem verstanden. Sie erwarteten, daß er so sei wie sie selbst, in sich physisch gefangen, sterblich, der Zeit untertan, einem Körper aus Fleisch und Blut zugeteilt. Doch hier in den Bergen gab es viele Wesen, die nicht so waren. Die Zeit lief schnell für das Wasser und langsam für den Fels und schuf so ganz unterschiedliche Wirklichkeiten, von denen die feindlichen Menschenwesen nichts ahnten. Sie suchten nach seinen Geschwistern, vielleicht sogar nach seinen Müttern und erwarteten, daß sie so wären wie sie, nach ihrem Bilde geschaffen, in ihrem Zeitstrahl gefangen, von nichts umgeben als von Haut.
Doch er gehörte zu den Na Daoine-Maithe, und die Wirklichkeit war nicht so eng und schmal, wie die Menschen meinten. Auch gab es nicht nur eine Wahrheit. Wie konnten sie nur so phantasielos sein, das zu glauben?
Natürlich gab es Verwandte, die in nur einer Zeitlinie ihr Zuhause hatten, die unter Menschen wohnten, mit ihnen lebten. In der Menschenwelt stachen sie durch entsprechende Macht und Stärke hervor. In der Welt der Fey waren sie die Schwächeren. Ihre Kräfte konnten sich nicht mit denen von Fels und Wasser messen, und obschon Stein zu gemächlich war, um sich Gedanken um sie zu machen, konnte Wasser sie doch überwinden, sie ändern und mitreißen in den Lebenskreis der unendlichen Wiederkehr. Sie verloren sich. Ihre menschenähnliche Essenz löste sich auf in einen Strahlenkranz voller einzelner Gedanken und Ziele, bildete Bach, Fluß, See, Ozean – doch nie wieder zu das gleiche autarke Wesen.
Keiner seiner Gedanken ergab Sinn. Über Harris-Tweed hatte er nachgedacht. Er versuchte, die Erinnerung wiederzubeleben, die so nah beim Klang dieses Wortes lag, doch es wollte sich kein Bild zu den Silben einstellen. Gleichwohl fühlte er, daß es wichtig war, sich daran festzuhalten. Ein Teil seiner selbst war darin versteckt, jenseits von dem, was Bedeutung bedeutete.
Ein Klang von Heimat – und auch dies war ein fremdes Konzept. Wohl war er reviergebunden, so viel war richtig, hatte sich nie aus der trauten Geschlossenheit der Berge entfernt. Doch waren sie ihm Heimat? Mußte man nicht, um etwas als Heimat zu begreifen, auch das kennen, was nicht dazugehörte?
Heimat. Ein merkwürdiger Gedanke. Das Dunkel, das ihn umgab, war das Heimat? Das Fließen und Glucksen des Wassers, das durch den Fels hüpfte und sprang, immer nach unten, nie nach oben. Jedes Wesen hatte seine Einschränkungen, und Wasser konnte nicht bergauf wandern. Hier waren die Berge sein Meister. Sie wuchsen mit der Zeit, erhoben sich in langsamem Selbstbewußtsein aus dem Salzmeer, verwandelten flachen Muschelstrand in senkrechte Schluchten.
Damals war er noch nicht dagewesen. Zu lang war das her. Doch die Berge kannten noch ihre alten, langsamen Lieder und sangen sie, begleitet vom Forte eisiger Winter und der süßen Modulation des Frühling, der nur für einen winzigen Augenblick sein Glockenspiel erklingen ließ, bevor der Sommer das Thema aufgriff und seine Schönheit in goldenem Herbst verklingen ließ.
Er mochte den Klang der Berge und hatte ihm lange gelauscht. Doch es hatte eine Zeit gegeben, da hatten sie keine Zuhörer gehabt. So hatte die Melodie der Erde sie alle geschaffen, einen nach dem anderen, all die Kreaturen aus Fels und Luft geboren, aus Himmel und Wind gekürt, Wasser und Sonnenschein, Dunkelheit und purem Willen. Na Daoine-Maithe nannten sie sich, die guten Wesen, die Zuhörer der Welt.
Die Fey. Das Wort erbebte in seinem geschundenen Gedächtnis. Böse Gestalten aus Legenden und Märchen. Putzig und süß oder gefährlich und finster. Wie auch immer, ihre hervorstechendste Eigenschaft war, daß sie nicht existierten. Er war sich sicher. Sie waren nur Aberglaube, wuchernde Gedanken dummer und ungebildeter Menschen. Die Unterschicht glaubte an so etwas. Er nicht. Nie. Höchstens, als er noch ganz klein gewesen war.
War er noch klein? Er versuchte, sich zu definieren, und es gelang ihm so wenig wie die Male davor. Er mußte klein und jung sein, denn an die
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