Salzträume 1: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
dachten unklare, wolkenverhangene Gedanken. Mit den Bildern, die sie formten, ließ sich spielen. Er war für sie der Wind, der durch die Bäume weht, der Gesang unmöglicher Vögel, das Gurgeln eines Baches, der den Berg hinan fließt.
Er war Ian und sonst gar nichts, und jetzt würde er ein wenig schlafen. Wenn er wieder erwachte, würde er aufstehen, und danach würde er nach Hause gehen.
Kapitel 32
Zwei kräftige Einheimische ruderten die Boote, Vater und Sohn, wie es aussah. Sie trugen Lederhosen, Stiefel und feste graue Wolljanker mit grünen Borten. Wenn sie einander von Boot zu Boot etwas zuriefen, versuchte Corrisande, sie zu verstehen, doch ihr Akzent war schwierig. Nur einzelne Worte wurden ihr klar, und die schienen anzudeuten, daß die Männer sich über ihre Passagierinnen ein wenig lustig machten und dabei gänzlich ignorierten, daß zumindest eine der Reisenden sie verstand. Offensichtlich waren sie nicht an Damen gewöhnt, die ohne männliche Begleitung reisten, und gleich drei davon, die einen halben Haushalt an Gepäck sowie eine eigene Kammerzofe mitführten – so etwas war ihnen wohl noch nicht untergekommen.
Die Boote waren groß, doch mit einem Ruderer und zwei Passagieren waren sie voll. Corrisande grübelte darüber nach, warum die Sängerin nicht auch noch ihr Klavier eingepackt hatte. Sie fühlte sich sehr ungeschützt in diesen flachen Nachen, die nach ihrem Dafürhalten Särgen mehr ähnelten als Booten. Die Menge an Gepäck ließ sie tief im Wasser liegen, und Corrisande fürchtete, jede noch so geringe falsche Bewegung würde sie sofort auf den Grund des Sees schicken. Sie blickte hinüber zum anderen Boot, in dem Cérise und Frau Treynstern in der gleichen angespannten Bewegungslosigkeit verharrten. Sogar Marie-Jeannette, die sich mit Corrisande im Boot befand, war ungewöhnlich ruhig. Das schöne Mädchen hatte die Hände in die Seiten des Bootes gekrallt und flirtete nicht einmal mit den anwesenden Männern, was eher untypisch war. Der Schiffer ruderte in einem ruhigen Rhythmus. Er stand dabei am Heck des Nachens und führte ein einzelnes Ruder. Diese Art des Antriebs sah seltsam aus, und vermutlich brauchte man eine Menge Kraft dafür.
So viel Wasser. Corrisande fühlte, wie ihr das Herz bis in den Hals schlug. Der langgezogene See lag umringt von Bergen, die nicht weit hinter dem Ufer sofort in die Höhe wuchsen. Herbstfarben ließen die Bäume leuchten, die sich nach oben hin verloren, wo der graubraune Fels aus dem Grün hervorbrach und sich steil nach oben reckte. Die Sonne schien, die Luft war von brillanter Klarheit, prickelte fast vor Leben. Grundlsee, wo sie die Nacht zugebracht hatten, lag hingestreut am westlichen Seeufer. Im Osten waren von weitem nur ein paar winzige Häuser zu erahnen, Gössl, ein Weiler, der keine eigene Poststation hatte.
Diese lag einsam dazwischen, am langgestreckten Nordufer, und nannte sich Ladner. Nur ein Pfad führte von Grundlese dorthin, viel zu schmal und unwegsam, um mit der großen Kutsche dort entlangzureisen. Es blieb ihnen nur das Boot als Transportmittel.
Das machte sie sehr abhängig von den einheimischen Ruderern. Es hieß auch, daß sie immer wieder über diesen See mußten, wohin sie auch wollten. Corrisande mißfiel der Gedanke.
Das Wasser war ruhig, nicht zu vergleichen mit dem Meer oder dem Ärmelkanal. Von Seegang konnte man nicht sprechen, das Wasser kräuselte sich nur glitzernd. Dennoch schwankte das Boot. Corrisande hatte den Ärmelkanal oft genug überquert, denn ihre Heimat war England, doch ihr Vater lebte in Frankreich, wo auch sie ein paar Jahre zugebracht hatte. Bisher hatte sie sich noch nie unwohl gefühlt, während sie von einem zum anderen Ufer fuhr, egal ob sie bei ruhiger See oder stürmischen Winden unterwegs war. Die Malaise, die manche Menschen auf Booten und Schiffen heimsuchte, hatte sie immer verschont.
Als Abkömmling einer Nereide wäre es auch ein Widerspruch in sich gewesen, seekrank zu werden. Sie hatte Wasser nie gefürchtet. Jetzt schon. Ihr Magen schien in ihr zu schwimmen. Die Übelkeit konnte sie eventuell ihrer Schwangerschaft zurechnen, denn es schien ihr fast ungehörig, auf einem flachen See bei Windstille seekrank zu werden.
Doch die Angst vor dem Wasser blieb. Es war eine irrationale Angst, die sie durchströmte, je länger sie auf das blaue Naß blickte. Es sah so ruhig und vertrauenswürdig aus, doch sie war beinahe sicher, daß es unter der trügerischen Oberfläche brodelte
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