Salzträume 2: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
soll mit ihm sein?“ fragte sie zurück. Sie klang nicht unverschämt, machte aber doch deutlich, daß sie sich nicht aufs Glatteis führen lassen wollte.
„Wie würdest du wählen?“ fragte die Alte.
„Wie meine Freundin würde auch ich um die Gnade bitten, nicht wählen zu müssen.“
Die drei blickten die vor ihnen knienden Frauen an.
„Wenn du nicht wählen wirst, wirst du akzeptieren?“ fragte die Alte.
„Wenn es keine Wahl gibt, bleibt einem nie etwas anderes“, gab Sophie zurück.
„Es gibt immer eine Wahl“, sagte das Mädchen.
„Das Schicksal nicht zu akzeptieren ist eine der irritierendsten menschlichen Eigenschaften“, sagte die Mutter. „Du hast das Schicksal betrogen, als du dich entschlossest, das Kind des Bluttrinkers zu gebären.“
Sophie senkte den Blick und biß sich auf die Lippen. Dann blickte sie wieder zu den dreien.
„Hohe Frauen, ihr wißt so viel, daß ich nicht sehe, wie ihr unsere Liebe in Frage stellen könnt. Ich selbst tue dies nicht. Ich bezweifle auch nicht Corrisandes Liebe oder die Mademoiselle Denglots. Wir sind gekommen, die zu retten, die wir lieben. Ich weiß nicht, ob wir das ohne eure Hilfe können, doch wir werden es versuchen. Wenn ihr uns jedoch helfen könnt, so bitten wir darum. Im Namen von Glaube, Liebe und Hoffnung!“
„In unserem Namen also?“ fragte das Mädchen spöttisch.
Cérise verlagerte nervös ihr Gewicht.
„Es tut mir leid, Mesdames Saintes , das ist mir zu philosophisch. Ich bin nur eine Sängerin. Ich singe Arien und versuche, dabei schön auszusehen. All das geht über meinen Horizont. Ich will nicht respektlos erscheinen, aber worum geht es bei all dem hier?“
„Du hattest recht“, sagte die Mutter zu Corrisande. „Ihr Mut ist makellos. Sie ist redlich und direkt.“
„Um in diese Berge zu kommen, müßt ihr eins mit uns werden“, erläuterte die Alte. „Die Berge sind versiegelt. Kein zeitgebundenes Wesen kann durch den Bann. Wir werden euch in uns aufnehmen und hineinbringen. Dort werdet ihr eure Aufgabe finden und sie zu erfüllen suchen. Die Rettung eurer Liebsten ist nicht eure Aufgabe. Die Rettung der Menschheit und der Fey ist es. Ihr werdet das nicht können, ohne zu wählen. Leben kommt nicht ohne Entscheidungen aus. Steht auf!“
Sie gehorchten, und die drei traten so nah, daß die Nebelgewänder kalt um die drei Menschenfrauen wallten. Die Alte griff mit festen Fingern nach Sophies Schultern, und sie unterdrückte mühsam einen Schrei. Ihr Atem wurde schnell vor Grauen, als das Alter ihr durch Herz und Knochen sank, ihr Blut zu Klumpen gerinnen ließ. Ihre Lippen bewegten sich in lautlosen Silben. Ihr Herz welkte.
Corrisande sah, wie ihre Freundin vor Schmerz und Furcht zitterte, und holte tief Atem, um sich auf das Kommende vorzubereiten. Die Hände der Mutter reckten sich ihr entgegen, berührten ihren Bauch, und Corrisande war sich plötzlich des Lebens in ihr sehr bewußt. So klein und wehrlos war es. Sie liebte es und würde tun, was nötig war, es zu behüten. Geschmolzene Liebe durchströmte ihre Adern, großartig und voller Schönheit, doch auch unerbittlich in dem Anspruch auf Opferbereitschaft.
Cérise starrte gebannt in die glitzernden Augen des Mädchens. Sie fühlte die Veränderung ihrer beiden Gefährtinnen mehr, als sie sie sah, und sie machte ihr Angst. Die unendlich junge Kreatur betrachtete sie kritisch, trat ihr jedoch nicht entgegen.
„Komm!“ sagten die Stimmen der beiden anderen.
„Sie ist nicht unberührt“, kritisierte das Mädchen.
„Jetzt schon“, sagte die Alte, und ihre Stimme, die aus Frau Treynsterns Mund kam, war ein wenig spöttisch.
Cérise erschrak. Sie fühlte sich nicht anders als vorher, doch der Kommentar der Alten mußte etwas zu bedeuten haben.
„Ein Hymen macht noch keine Jungfrau“, entgegnete das Mädchen, und Corrisande wandte sich Cérise zu.
„Singen Sie!“
Cérise sang. Sie erhob die Stimme wie ein Banner, ließ sie durch das Tal wehen, um ihren Wert zu beweisen. Sie sang um ihre Liebe und sein Leben und um die Möglichkeit, es zu retten. Mit aller Leidenschaft, derer sie fähig war, sang sie, und mit aller Leidenschaft, die er ihr geschenkt hatte. Sie sang, wie sie noch nie gesungen hatte.
„Son fra l ’ onde in mezzo al mare,
E al furor di doppio vento;
Or resisto, or mi sgomento
Fra la speme, e fra l ’ orror.
Per la fè, per la tua vita
Or pavento, or sono ardita,
E ritrovo egual martire
Nell’ ardire e nell’ timor.
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