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Sam & Emily: Kleine Geschichte vom Glück des Zufalls (German Edition)

Sam & Emily: Kleine Geschichte vom Glück des Zufalls (German Edition)

Titel: Sam & Emily: Kleine Geschichte vom Glück des Zufalls (German Edition)
Autoren: Holly Goldberg Sloan
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sonst hätte er vielleicht das Gleichgewicht verloren.
    Der Straßenmusiker legte die Hand auf seinen Arm. »Spiel einfach weiter. Wird dir guttun. Lass einfach alles raus.«
    Sam gehorchte, und während sich seine Finger über den Gitarrenhals bewegten, wurde er allmählich ruhiger. Er spielte so wie früher, ließ sich an einen anderen Ort versetzen. In eine andere Sphäre. Er machte nicht Musik, er war Musik. Und plötzlich wusste er auch wieder, was von Bedeutung für ihn war.
    Sein Bruder. Riddle. Sein kleiner Bruder Riddle.
    Als er einige Stunden später zu spielen aufhörte, war der Gitarrenkoffer voll mit Münzen. Die Sonne war verschwunden und die grellen Lichter der Neonstadt hatten die Dämmerung verscheucht.
    »Ich heiße übrigens Hal. Und du…?«
    Sam sah den Typen an. Er öffnete den Mund und wie von selbst schoss es aus ihm heraus: »Ich heiße Sam. Sam Smith.«
    Hal nickte. »Du spielst saugut, Mann. Und woher kommst du?«
    Verwundert hörte Sam sich sagen: »Von nirgendwo. Und überall. Wir sind viel unterwegs.«
    Hals Neugier war noch lange nicht befriedigt. »Du kommst aus einer Musikerfamilie, stimmt’s?«
    Sam sah auf seine Finger, dann auf die Gitarre. Familie. Sein einziger Wunsch seit einer Ewigkeit. Für ihn und Riddle. Kam er aus einer Musikerfamilie?
    Hatte sein Leben sich nicht schlagartig verändert, weil er gehört hatte, wie jemand sang?
    ***
    Emily ging von der Schule allein nach Hause, was sie schon lange nicht mehr getan hatte. Als sie durch die Hintertür in die Küche kam, überraschte sie ihren Vater dabei, wie er gerade das Abendessen vorbereitete, was ungewöhnlich war. Er musste an dem Tag wohl früher als sonst von der Arbeit gekommen sein. Tim Bell mochte es gern scharf und deshalb köchelte auf dem Herd ein großer Topf Chili con Carne vor sich hin. Je größer die Menge, desto besser, verkündete Tim, denn seiner Meinung nach schmeckte das Chili am zweiten Tag erst so richtig gut und deshalb machte es nichts, wenn viel übrig blieb.
    Ihre Mutter war mit dem Auto fort.
    Was mehr als ungewöhnlich war.
    Irgendein Vorfall in der Verwandtschaft, wo ihre Tatkraft und Hilfe gefragt war. Ihr Vater drückte sich da nicht sehr genau aus. Er sagte nicht, welche Verwandten. Oder wohin sie gefahren war. Unter normalen Umständen hätte Emily ihn daraufhin so lange mit Fragen gelöchert, bis sie der Sache auf den Grund gegangen war.
    Aber jetzt fragte sie nur: »Wann kommt sie zurück?«
    Tim Bell zuckte mit den Achseln, aber es war eher aufmunternd gemeint. »Wusste sie auch nicht. Wenn wir Glück haben schon morgen. Ich weiß, wie gerne sie Bobby und dich sehen würde, bevor ihr zum Abschlussball aufbrecht.«
    Emily versuchte, ihre Enttäuschung zu verbergen, und nickte nur.
    Jared, der am Fenster saß und mit seinem Taschenmesser aus einem Stück Seife eine Figur schnitzte, schielte zu ihr hin. »Wirst du Bobby heiraten?«
    »Auf keinen Fall«, platzte es aus Emily heraus. »Du hast sie wohl nicht alle.«
    Ihr Vater blickte mit gerunzelter Stirn von seinem Chili-Kochtopf hoch. Jared ließ Seife und Taschenmesser fallen und zog einen Flunsch.
    Daraufhin meinte Emily zu ihm: »Tut mir leid. Hab ich nicht so gemeint.«
    Mit hochrotem Kopf verließ sie die Küche. Sie fühlte sich grässlich. Aber was soll man eigentlich machen, wenn man mit niemandem mehr klar kommt, am wenigsten mit sich selbst?
    ***
    Sam spielte weiter, während Hal die Leute auf der Straße dazu animierte, stehen zu bleiben und diesem Wunderkind zu lauschen. Die Lichter des Casinos erleuchteten bereits den Himmel von Las Vegas, in dem es niemals Nacht wurde, als Sam plötzlich genug hatte.
    Hal wollte fifty-fifty machen, doch Sam lehnte das ab. Die vielen Stunden, die er hatte spielen dürfen, waren ihm Lohn genug.
    Riddle hatte er verloren, aber er erinnerte sich jetzt daran, dass es vor seinem Blackout eine Familie Bell gegeben hatte. Und dass sie eine Tochter hatten. Emily. Und das linderte seinen Kummer plötzlich ein wenig.
    Während er Gitarre gespielt hatte, hatte er sich in eine andere Sphäre begeben. Dort war ihm klarer, wenn auch nicht gänzlich klar geworden, wer er war. Er hatte sein Bewusstsein wiedergewonnen. Vielleicht hatte er seinen Vater getötet, sicher war er sich da nicht. Aber er wusste noch genau, dass sein Vater versucht hatte, ihn zu töten. Mehr als einmal.
    Und er wusste auch, dass er seinen kleinen Riddle verloren hatte. Das hatte er die ganze Zeit über verdrängt. Sein kleiner
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