Sam & Emily: Kleine Geschichte vom Glück des Zufalls (German Edition)
Debbie Bell, dass Vorschriften und Dienstwege eingehalten werden mussten, weil das von großer Bedeutung sein konnte. Was aber auch hieß, dass sie sich mit der Sprache der Bürokratie auskannte.
Debbies zweiter Anruf galt deshalb Detective Sanderson. Sie wusste, dass der Bundesstaat Utah Riddle ohne offizielle Dokumente nicht in ihre Obhut übergeben würde. Sanderson konnte es nicht fassen, dass die Polizei in Emery County den Jungen nicht sofort identifiziert hatte. Aber das war wieder einmal typisch. Sie fahndeten ja schließlich nach zwei Jungen. Und jetzt war nur einer aufgetaucht. Und auch noch in Begleitung dreier Erwachsener. Weshalb diese Leute nun im Zentrum der Ermittlungen standen.
Detective Sanderson fiel dann auch ein, dass im Liberty Motel der Inhalator gefunden worden war, den Debbie für Riddle besorgt hatte. Er war im Krankenhaus auf ihren Namen ausgegeben worden. Was bedeutete, dass sie sich um Riddles medizinische Versorgung gekümmert hatte. Und diese Tatsache verschaffte ihr gleich eindeutige Pluspunkte.
Nachdem Debbie in der Notaufnahme alles so organisiert hatte, dass ihre Schichten in den nächsten drei Tagen von anderen übernommen wurden, kontaktierte sie Dr. Howard, die ihr für Riddle zwei weitere Proventil-Inhalatoren ausgab. Und dann fiel Debbie noch etwas ein, was sie als Beweis vorlegen konnte, dass sie in einer engeren Beziehung zu Riddle stand.
Debbie hatte nämlich erste Schritte eingeleitet, um Riddle und Sam für den Schulbesuch anzumelden, und dafür bereits die notwendigen Formulare ausgefüllt. Die Formulare enthielten noch nicht sämtliche nötigen Angaben, aber sie waren Ende April von der Schulbehörde mit einem Eingangsstempel versehen worden. Auf Debbies Anfrage hin bestätigte ihr dies die zuständige Sachbearbeiterin in einer E-Mail.
Dann fuhr Debbie nach Hause, wo Tim inzwischen auf sie wartete. Tim und sie würden für die Vormundschaft einen Antrag beim Jugendgericht stellen müssen, aber Debbie war überzeugt, dass sie unter den gegebenen Umständen sicherlich ein vorläufiges Sorgerecht zugesprochen bekämen.
Und so fertigte Debbie Kopien ihres Einkommensteuerbescheids an (um zu belegen, dass sie für Riddle sorgen konnten), sie steckte Zeichnungen ein, die Riddle während seiner Besuche bei ihnen angefertigt hatte, und entnahm ihren Unterlagen ihr letztes Beurteilungsschreiben vom Krankenhaus.
Dann packte Debbie ein paar Kleidungsstücke in einen kleinen Koffer. Sie füllte eine Thermoskanne mit frischem, heißem Kaffee, bereitete ein Truthahnsandwich zu, holte ein Netz Orangen und ein großes Stück Maulwurfkuchen, das sie sorgfältig in Frischhaltefolie einwickelte und dann in einer Tupperbox verstaute.
Das Stück Kuchen war nicht für sie.
Debbie Bell küsste ihren Mann zum Abschied und sagte ihm, dass sie ihn liebe. Dann fuhr sie los. Sie konnte sich nicht daran erinnern, jemals so nervös gewesen zu sein.
Sie hoffte nur, dass sie während der achtstündigen Fahrt, die sie vor sich hatte, keinen Strafzettel wegen Geschwindigkeitsüberschreitung bekam.
***
Nach Debbie Bells Anruf verbrachte Detective Sanderson den Rest des Nachmittags am Computer. Er kümmerte sich um den Papierkram, der erledigt werden musste, damit sie Riddle über die Grenzen des Bundesstaates hinweg mitnehmen durfte.
Wenn er jetzt nicht half, würde der Junge in eine fremde Pflegefamilie gegeben werden. So lange, bis die Sozialarbeiter und der Bundesstaat Utah eine Entscheidung über seinen weiteren Verbleib gefällt hatten.
Aber Detective Sanderson, der das alles für ein Wunder hielt, wusste, wohin Riddle gehörte.
***
Der Busfahrer Juan Ramos hatte schon viele Berufsjahre auf dem Buckel. Jetzt beugte er sich über das knackende Mikrofon des Greyhoundbusses und verkündete: »Meine Damen und Herren, wir erreichen jetzt Las Vegas – das bedeutet: die Wiesen. Kaum zu glauben, aber das hier war tatsächlich mal ein grüner Flecken. Ihnen allen eine gute Zeit und achten Sie auf die Stufen.«
Sam war viele Male mit seinem Vater und Riddle durch diese Stadt gekommen, aber als er jetzt auf dem brütend heißen Asphalt des Parkplatzes vor dem Busbahnhof stand, kam ihm das alles nur flüchtig bekannt vor. Wenigstens wusste er noch, dass er schon einmal hier gewesen war.
Dabei hasste Clarence Border Las Vegas.
Eine der vielen paradoxen Seiten seines Wesens war, dass er Kriminelle nicht leiden konnte und Spieler sogar verabscheute. Er hatte lieber Menschen um sich, auf die er
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