Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)
alte Bekannte aus dem Garten des
Atlas Guesthouse
und sprachen Kaufner entsprechend direkt an. Im
Blues-Café
trank man aus Pitchern mit USA -Flaggenaufdruck, unter den Glasplatten der Tische lagen sowjetische Orden und Geldscheine rund um ein schwarzes Gabeltelephon. In der Bar des
Hotel President
wollten zwei Betrunkene nicht bezahlen, weil eine dicke Animiermatrone hinterm Tresen stand, kein Mann:
»Du gehörst in die Küche!« beschimpften sie die Frau, machten sogar Anstalten, sie zu schlagen.
Gerade die Verworfenheit der Orte zog Kaufner eine Zeitlang an. Nachdem er überall sonst in Samarkand gescheitert war, durfte er hier immerhin auf jemand hoffen, der für Geld alles machen würde. Besonders häufig war Kaufner im
Randevu.
Bis er dort um ein Haar verprügelt,
mindestens
verprügelt worden wäre. Zu später Stunde war es gewesen, das
Randevu
machte ja erst um Mitternacht auf. Wie immer gab es schlechten Bauchtanz, jede Menge Wasserpfeifenraucher, russisches
Baltika
-Bier und Trockeneisnebel auf der Tanzfläche. Auf einem großen Videoschirm liefen Tierfilme. Die Frauen dufteten süß und schwer, vor allem wenn sie einem der Separees in den rückwärtigen Räumlichkeiten zustrebten. Plötzlich stand einer der Neuen Usbeken neben Kaufner am Tresen, und als er herausbekommen hatte, daß der Fremde Deutscher war, legte er ihm die Hand schwer auf die Schulter und bestellte zwei Wodkas:
Kaufner müsse mit ihm trinken, weil alle Deutschen Verbrecher seien, das wisse er von seinen Verwandten. Ihre Urgroßväter hätten gegen Deutschland gekämpft, hätten es besiegt. Kaufner müsse, hier und sofort, müsse Abbitte leisten. Auf die glorreichen Gefallenen des Großen Vaterländischen Krieges!
Nachdem Kaufner notgedrungen mit dem Mann angestoßen hatte, tat er so, als kippe er den Wodka, stellte das volle Glas zurück auf den Tresen. Der Mann begriff auf der Stelle und ging auf Kaufner los, andere eilten herbei und umarmten ihn beschwichtigend, er schüttelte sie ab, zerrte an Kaufner herum. Eine Weile konzentrierte sich der Barmann darauf, einen Apfel mundgerecht für einen Gast aufzuschneiden, dann ließ er den Betrunkenen samt seiner Freunde vor die Tür setzen. Dort blieb er, kam erneut auf Kaufner zu, wie der ein
Baltika
später das
Randevu
verließ, und diesmal hatte er ein Messer in der Hand.
Noch ehe aber etwas passieren, ja überhaupt ein einziges Wort zwischen den beiden Männern fallen konnte, löste sich eine Gestalt aus den Reihen der geparkten Autos, griff nach Kaufners Hand und zog ihn weg:
»Du gehörst hier nicht her, Ali, du mußt nach Hause.«
Der Betrunkene war überrumpelt, ein Mädchen, jedenfalls der Stimme nach zu schließen, hätte er jetzt am allerwenigsten erwartet. Obendrein ein derart seltsam in Tücher verpacktes, und dann sah es ihn auch noch auf eine Weise an, daß er unwillkürlich ein paar Schritte zurückwich. Und es wortlos geschehen ließ, daß Shochi mit Kaufner davonging, Hand in Hand. Den ganzen Heimweg über war es so ungewöhnlich still für eine Stadt dieser Größe, man wagte kaum, Luft zu holen.
Kaum hatten sie den Innenhof des
Atlas
erreicht, atmete Shochi vernehmlich ein. Setzte ein paarmal an, Kaufner zurechtzuweisen, schließlich kam ihr aber nur ein »Ali, das ist kein guter Ort für dich« über die Lippen, »wenn ich nicht aufgepaßt hätte«.
Sie habe plötzlich ein ganz schlechtes Gefühl gehabt, da sei sie noch mal aus dem Haus geschlichen. Wo er sich herumtreibe, wisse sie ja seit langem.
Kaum lag Kaufner im Bett, rüttelte jemand an der Hoftür, schlug mit der Faust dagegen, beschimpfte die Deutschen als Mörder, Verbrecher, Schweinehunde. Und wer sich mit ihnen einlasse, sei auch einer: »Du reicher arischer Scheißkerl, wir kriegen dich!«
Kaufner brauchte eine Weile, bis er begriff, daß sich die Wut des Betrunkenen nun auf Sher gerichtet hatte. Die Tadschiken in Usbekistan hatten sich niemals mit ihm als Arier zu verbrüdern gesucht, das sollte er erst im nächsten Sommer, drüben, erleben.
Anderntags zeigte ihm Shochi, wie lang ihr die Haare mittlerweile gewachsen waren; als sie ihren Zopf löste, fielen sie bis in die Kniekehlen. Ein Lichtschimmer lag darauf an diesem hellen Dezembertag, sogar ihre Zahnlücke leuchtete. Ihre Hüften schienen ein wenig runder geworden, ihr Gang weicher; dennoch war sie noch voll kindlicher Unschuld, sie hatte ja niemanden, mit dem sie gemeinsam kichern konnte.
Dann wischte sie sich mit einer fahrigen Bewegung
Weitere Kostenlose Bücher