Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)
tun sie regelmäßig. Sie brechen ein, legen Wanzen, durchsuchen, was sie vorfinden.« Bloß kein Aufsehen, sie hätten nichts mitgenommen außer den eigenen Wanzen, er habe genau aufgepaßt. Jeder Ausländer sei mal an der Reihe, alles normal, alles gut. Mit ihrem Amtssiegel hätten sie die Sache immerhin hochoffiziell beendet.
Sher hatte den gelben Blick, anscheinend hätte es auch anders enden können. Kaufner zog es vor, die Sache auf sich beruhen zu lassen, ohne über das Groteske des Vorfalls weiter nachzudenken. Daß man in dieser Stadt wußte, zumindest ahnte, was er suchte; daß man ihn und seinesgleichen indessen nicht für voll nahm: davon ging Kaufner längst aus. Er und die anderen Paßgänger, die die Berge durchstreiften, betrieben in den Augen der Einheimischen so etwas wie eine Art Tourismus auf Leben und Tod; was in den Bergen geschehen mochte, war ihnen egal, solange sie ihren Profit damit machten. Ab und zu sahen die Behörden eben nach, ob das Unrechte zumindest seinen rechten Gang nahm. Wahrscheinlich hatte Sher am Ende kräftig schmieren müssen, aber das war in seiner Rechnung gewiß von vornherein berücksichtigt gewesen.
So langsam kannte sich Kaufner hier aus. Nun verstand er, warum die Freie Feste jeglichen Kontakt abgelehnt hatte, keine Telephonate, keine Mails, keine Aufzeichnungen. Besser konnte er gar nicht vor dem Geheimdienst geschützt werden, es gab ja tatsächlich nichts, was sie hätten finden können. Kaufner konnte in aller Seelenruhe am Fenster sitzen und auf den Moment warten, da Vierfinger-Shamsis Tauben um die Kuppel von Gur-Emir fliegen und irgendwo ein erster Schuß fallen würde. Shams selbst war wieder einmal im Gebirge, bei Verwandten, wie es hieß; doch die Tauben kannten den Weg auch ohne ihn. Bis zum Massaker von Bekobod, das den Dritten Weltkrieg endgültig nach Zentralasien bringen würde, war es noch drei Monate hin. Übermorgen war, obgleich das hier niemanden interessierte, war erst mal Heiligabend.
Das Jahr 2029 begann mit viel Regen, einem Aufstand in Kirgistan gegen die »russischen Besatzer« (nach zwei Tagen niedergeschlagen) und damit, daß Shochi verschwunden war. Verschwunden war und blieb sie oft, insofern fiel es zunächst keinem auf. Als sie zum Frühstück nicht erschien, wurde man aber unruhig. Kaum deutete Kaufner an, Shochis Lieblingsort zu kennen, womöglich finde man sie dort, bot sich sogar Jonibek an, ihn hinzufahren. In seinem silbernen Mercedes mit dunkel getönten Scheiben. Als er damit auf dem Bahnhofsplatz vorfuhr, erregte er das Aufsehen, das ein Neuer Usbeke hier zwangsläufig erregen mußte. Die Trinker warfen mit Flaschen, die Zwiebelhändler mit Zwiebeln, Jonibek fuhr mit quietschenden Reifen davon.
Der Bazar vor dem Bahnhofsgebäude zur Hälfte in einer riesigen Pfütze, der Übergang ins Saliniaviertel wurde mittlerweile von einer MG -Stellung des Militärs gesichert. Ein Brotverkäufer passierte die Kontrolle vor Kaufner; indem er sein Rad über die Gleise hob, fielen ihm zwei Fladen vom Gepäckträger und in eine Lache. Er hob sie auf, schüttelte das Wasser ab, legte sie zurück auf den Stapel und schob das Rad dem ersten zerlumpten Kunden entgegen.
Kaufner ging gar nicht erst die verschlammten Wege ins Saliniaviertel hinein, sondern folgte den Gleisen ostwärts, an einem neuen Schild vorbei (»Die Vergangenheit ist unser Fundament, die Zukunft unsere Hoffnung«), dann an einem Greis, der zwei Kühe beim Herumstehen beaufsichtigte, am Brückenwärter, der in seinem Häuschen mehrere Gäste mit Wodka beköstigte. Schon als er die Brücke betrat, sah er in einigen hundert Metern Entfernung ein kleines Wesen, das auf dem Geländer saß, die Beine überm Abgrund baumelnd. Kaufner griff nach seinem Wolfszahn, hielt sich kurz daran fest.
Kaum daß er Shochi erreicht hatte, rutschte sie von der Brüstung, versteckte sich in seiner Umarmung. Zitterte am ganzen Körper. Nein, kein Traum diesmal. Aber Lust, auf und davon zu fliegen, hatte sie gleichwohl heftig verspürt vergangne Nacht. Gegen Morgen war sie schließlich ausgerissen – heute nach der Schule hätte sie ihr Geburtstagsgeschenk bekommen sollen. Einen goldenen Schneidezahn. Weil Männer wie ihr Vater das schön fänden. Sie wolle indes keinen Goldzahn. Und einen Mann, den ihr Vater dazu aussuche, erst recht nicht.
Shochi schnappte ein paarmal hörbar nach Luft, ehe sie das treffende Wort fand. »Aber du hast auf mich aufgepaßt, Ali. Das hast du doch, oder?«
Hatte
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