Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)
Reiskörnern, dem Knoblauch, der Zwiebel, der Peperoni, führte ihn über Shochis Kopf, Leib, Gliedmaßen, heftig betend und rülpsend, anschließend wurde die Schüssel geleert. Wohin? Das bekam Kaufner nicht mit. Mittlerweile saß Shochi aufrecht, hatte ihr Kleid am Rücken hochgekrempelt und ließ sich das Öl einmassieren. Ihr Gesicht hielt sie dabei mit beiden Händen bedeckt.
Kaufner hatte längst aufgehört, die Rülpser mitzuzählen. Nun, da es mit einem Mal still geworden, roch es sehr nach Füßen. Plötzlich begann Shochi laut loszulachen, die Heilerin stockte, die Frauen raunten. Wenn der überlieferte Wortlaut der Zaubersprüche nicht exakt eingehalten wurde, konnten sie nicht wirken, verkehrten sich womöglich in ihr Gegenteil! Und jetzt äußerte Shochi auch noch ganz unverhohlen Zweifel an der ganzen Veranstaltung! Die Heilerin schimpfte, immerhin übe sie diesen Beruf in sechster Generation aus, wenn ihre Zauberei nicht wirken würde, könnte sie wohl kaum davon leben, nicht wahr?
Alle bis auf Shochi waren sehr betroffen. Maysara warf rügende Blicke auf ihre Tochter, die nun auch noch am Bauch massiert wurde, erst danach wurde ihr das verdrehte Hanfseil vom Kopf gelöst, die Stirn mit Öl eingerieben. Wie die Heilerin aber abschließend mit einem rohen Ei über diesen und jenen Körperteil streichen wollte, griff Shochi nach dem Ei, unterbrach erneut den vorgeschriebenen Ablauf. Bevor die anwesenden Frauen aufstöhnen und sich die Haare raufen konnten, kam es zwischen Shochi und der Heilerin zu einem kurzen Gerangel, bei dem das Ei zerbrach – Shochi hielt die Reste in der Hand, es tropfte kein bißchen Eigelb herab.
Totenstille. Ein Wunder? Die Heilerin faßte sich als erste ein Herz, sagte laut ein Schutzgebet auf und verschwand, die Kleine sei stärker als sie, als alle, die sie bislang erlebt, die sei nicht von dieser Welt.
Shochi machte sich selbst darüber noch lustig. Die Heilerin sei ja schon beim Queren des Hofs mit ihrem Fuß mehrfach auf zwei Fliesen gleichzeitig getreten. Und habe dann eine ungerade Anzahl von Rosinen gegessen, obendrein mit Stiel.
So langsam kannte sich Kaufner hier aus. Je bedrohlicher die Zukunft anbrach, desto abergläubischer wurde es. Im Grunde war er genau der richtige Mann am richtigen Ort. Der richtige Mann mit dem richtigen Auftrag. Wenn ihr alle wüßtet. Wenn ihr wüßtet.
Noch gut sechs Wochen bis zum Massaker von Bekobod. Das beschauliche Grenzstädtchen lag zweihundertfünfzig Kilometer entfernt, Richtung Taschkent, also in einer ganz anderen Welt, was hätte man sich vor dem 19 . März darum in Samarkand Gedanken machen sollen? Mit den kleinen Aufregungen vor Ort war man vollauf beschäftigt. Sofern man sie ohne großen Lärm meisterte und ansonsten das Hoftor fest verschlossen hielt, konnte man auch jetzt noch leidlich entspannt das Glitzern der Frühlingssonne in den Dachziegeln des Gur-Emir betrachten. Sofern man freilich mal nicht aufgepaßt hatte, war man im Handumdrehen ein ruinierter Mann. Oder ein toter:
Der 6 . Februar begann mit dem Muhen von Vierfinger-Shamsis Kuh, wenig später saß Kaufner beim Frühstück. Am Kachelofen die Runde von Polizisten, die sich dort seit Wochen morgens einfand. Maysara und eine Nachbarin, die ihr in der Küche half, trugen unverdrossen Kartoffelpuffer und frittierte Blini auf, Manti und Barrak und allerlei Quarkteigtaschen, Maulbeermarmeladen, Kleingebäck mit und ohne Rosinen, gehackten Nüssen, Puderzucker. Dennoch reichte es nie. Maysara hatte zu beschwichtigen, so viele Gäste und nur eine Köchin, hier komme immerhin schon mal eine neue Schüssel mit Joghurt. Plötzlich fuhr einer der Polizisten derart heftig auf, daß ihm der Stuhl umkippte: Was sie sich erlaube? Er und seine Kameraden seien Diener des usbekischen Volkes, seien Usbeken, Usbeken in des Wortes tiefster Bedeutung! So schlecht müßten sie sich von einer Tadschikin nicht behandeln lassen! Wenn sich Maysara über ihren Appetit beschweren wolle, bitte schön, er werde morgen gern mit einigen seiner Leute vorbeischauen, um die Beschwerde offiziell aufzunehmen. Entschlossen, das Frühstück abzubrechen, setzte sich der Polizist die Dienstmütze auf; nicht ganz so entschlossen erhoben sich seine Kollegen:
»Und du kannst sicher sein, du kleine miese tadschikische Vettel, wenn wir kommen, finden wir immer was.«
Aber so habe sie’s ja gar nicht gemeint! winselte Maysara. Der hereinstürzende Sher wurde von den abmarschierenden Polizisten
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