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Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Titel: Samarkand Samarkand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Politycki
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zu Gefechten, dann entpuppte sich das eine wie das andere als Ente. Sollte es denn immer so weitergehen, ohne daß die ruhmreiche usbekische Armee einmarschierte und den bedrängten Brüdern zu Hilfe kam? War es nicht Völkermord, was drüben Tag für Tag passierte, hatte die UNO nicht eine entsprechende Resolution formuliert (die am Veto Rußlands gescheitert war), worauf wartete man noch?
    Das waren die Fragen, die man einander auch im Hamam stellte. Der Winter blieb streng, unter allen sechs Kuppeln wurde eng an eng geschwitzt, zwangsläufig kam man miteinander ins Gespräch.
    Wie bitte, ein Toter, womöglich ein Tadschike? Tatsächlich ein Tadschike? Aber aus Tadschikistan? Dann habe ihn gewiß ein Usbeke auf dem Gewissen. Wie bitte, ein Kirgise?
    Erstaunlicherweise behaupteten andere, Odina tatsächlich zu kennen. Ganz sicher, sie hätten ihn öfter hier gesehen, dennoch sei er alles andere als ihr Freund. Sofern Kaufner den Gesuchten näher beschrieb, verneinten sie ebenso massiv, wie sie soeben bestätigt hatten. Und Talib, der als einziger keine Ausrede haben durfte, wich aus, tatsächlich war er ununterbrochen beschäftigt. Kaufner mußte eine Massage bei ihm buchen, um überhaupt in seine Nähe zu kommen.
    Die Massagen fanden in aller Öffentlichkeit statt, in einer Nische hinter der Dusche, auf den Marmorboden geklatscht lag eines von Talibs karierten Tüchern. Aus der Dusche pladderte permanent heißes Wasser, man hätte sich anbrüllen müssen, wenn man nicht ohnehin von Beginn der Massage an durch grunzend orchestrierte Befehle und direkte Gewaltanwendung mundtot gemacht worden wäre.
    In den weiteren Nischen überall Männer beim Waschen oder Lümmeln, manche massierten sich gegenseitig, nicht wenige sahen zu, wie Kaufner zunächst in Bauchlage, dann in Rückenlage geknetet, auseinandergezogen, gestaucht, in jeder Weise willfährig gemacht wurde. In einem zweiten Durchgang erfuhr er unter Zuhilfenahme eines garstig harten Rubbelhandschuhs eine regelrechte Abreibung. Als die Massage ihrem Finale entgegenging, wandte Talib noch ein paar besonders bösartige Griffe an: Erneut drehte er Kaufner in Bauchlage und gleich auch einen seiner Arme auf den Rücken, hielt ihn auf diese Weise erst einmal ein Weilchen an der Schmerzgrenze fest. Sodann hob er ihm mit der anderen Hand beide Füße an, während er ihm die Hüfte mit dem Fuß zu Boden gedrückt hielt. Wuchtete sein Opfer mit Schwung in die Rückenlage, lupfte ihm die Beine unter den Kniekehlen an, um ihm, kaum daß die Beine angewinkelt standen, beide Knie so weit auseinanderzudrücken, bis er selber stöhnte. Schließlich steckte er sich einen von Kaufners Armen zwischen die borstigen Beine, um ihn in qualvoller Stellung zu fixieren, während er mit seinen beiden schaufelartigen Händen versuchte, andernorts Knochen zu brechen, die er bislang übersehen hatte.
    Nach einer halben Stunde, in der sich Kaufner bis in die Ohren und die Augen (die von der Massage keinesfalls verschont worden) neu zu spüren bekommen, hatte es mit der behaarten Geschäftigkeit ein Ende. Mittels einer letzten halb geknurrten, halb gekeuchten Regieanweisung wurde Kaufner unter die Dusche gescheucht, dann treppauf zur Umkleide, wo ihm Talib das Kästchen aufschloß, auf daß er sich unter seinen Augen abtrockne. Das war Talibs Verschnaufpause. Und Kaufners Chance.
    Odina? Möglicherweise schon möglich, daß da mal einer im Hamam gewesen, dessen Name … »Wie sagst du, Ali, hieß er?«
    Weil sich Kaufner freilich nicht abwimmeln ließ, trat Talib plötzlich ganz nah an ihn heran, sah ihm so stechend in die Augen, als ob er ihm gleich in den Schritt schnippen wollte: Odina? Nie gehört, nie gesehen.
    Kaum hatte Kaufner seine zwanzigtausend Som bezahlt, legte der Masseur die Rechte aufs Herz, eilte dem nächsten Kunden entgegen, der treppab auf ihn wartete.
    Während Kaufner nach Hause ging, fühlte er sich wie einer, der überlebt hatte. Es war eine grimmige Lust, den Kindern zuzuwinken, die ihn mit »Good-bye, gentleman« begrüßten oder mit »My name Gitler«; auch dem Derwisch, der auf der Taschkentstraße weiterhin seine kreisrunde Schneeschmelze betrieb, hätte er gern huldvoll zugenickt. Und es empörte ihn gar nicht sonderlich, als er vor seinem Zimmer im
Atlas Guesthouse
einen händeringenden Sher fand und an der Zimmertür ein Amtssiegel.
    »Entschuldige bitte«, setzte Sher zu einer Erklärung an. Der Geheimdienst habe in Kaufners Zimmer geübt. »Kein Scherz, Ali, das

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