Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)
er das? Noch immer hielt er Shochi so fest umarmt, daß er ihr Herz schlagen spürte. Keine vier Jahre war’s her, daß er Loretta verloren hatte. Loretta und Kathrin. Anfangs war ihm Loretta bestenfalls egal gewesen. Aber wenige Wochen bevor sie, gemeinsam mit ihrer Mutter, tatsächlich und endgültig verschwand, war sie eines Tages nicht von der Schule heimgekehrt. Es war bereits die Zeit, da Mädchen und Frauen nur in möglichst häßlicher Kleidung das Haus verließen, auf alt und unscheinbar hergerichtet, weil in den Straßen das Gesetz des Krieges galt. Als Kaufner sich aufgemacht hatte, Loretta zu suchen, war ein Lauern in der Luft gelegen, überall in Hauseingängen und hinter Straßensperren hatten schweigend Männer gelungert, wartend auf den Moment, da irgendwo ein Granatwerfer seine Stimme erheben, der Chor der Maschinengewehre einsetzen würde. Nach Einbruch der Dämmerung hatte Kaufner das Gefühl gehabt, von einem Fadenkreuz ins nächste zu laufen. Als er ergebnislos schließlich heimgekehrt war, hatte sich Loretta längst eingefunden. Nie war aus ihr herauszubekommen gewesen, was sie an diesem Nachmittag aufgehalten hatte. Nur ihr Herz hatte laut und vernehmlich geklopft, als er sie im Arm gehalten.
Kaufner hatte sich verboten, daran zu denken. Nun war er so froh, Shochi wiedergefunden zu haben, daß er gar nicht bemerkte, wie von hinten einer der Zecher aus dem Wärterhäuschen kam. Der tippte ihm schließlich auf die Schulter und stellte ihn zur Rede, woher, wohin, warum. Das Mädchen kenne er, das komme öfters hierher. Aber Kaufner? Wer wisse schon, was einer, der nicht mal grüße, auf der Brücke anstellen wolle?
Der Alte war Friedenswächter und nahm seine Aufgabe ernst, obwohl man offensichtlich vergessen hatte, ihm Soldaten zur Seite zu stellen. Endlich holte er einen Flachmann aus dem Stiefelschaft, Kaufner mußte mit ihm eine Verschlußkappe Wodka auf die Freundschaft trinken, die Sache war erledigt.
Nicht hingegen bei Shochis Eltern. Nachdem die verlorne Tochter unter Tränen willkommen geheißen, geherzt, geschimpft, um ein Haar versohlt und schließlich ins Bett gesteckt worden, sie hatte sich ja wohl zumindest eine Unterkühlung eingefangen, ging Kaufner noch einmal ins Büro. Sher putzte sich gerade Zähne und Zahnfleisch mit Knoblauch, dessen ungeachtet fiel er Kaufner ein weiteres Mal um den Hals, bedankte sich, wollte am liebsten weinen vor Glück, lud ihn zum Hundefleisch-Essen ein, das stärke die Abwehrkräfte im Winter, er wisse ein gutes koreanisches Restaurant. Trotzdem fand er Goldzähne weiterhin schön. Überdies sei’s Shochis eigener Wunsch gewesen, sozusagen, sie wolle ihrem Zukünftigen ja gefallen!
Als Kaufner sanft widersprach, lenkte Sher sofort ein. Er wisse schon, sie sei sehr eigen, unbelehrbar, eine Geißel Gottes. Achtung, Kamerad! Ein kleines Geheimnis unter Männern: »Wir hier in Samarkand, wir mögen auch als Töchter gern Söhne.«
Sher war ein ganz normaler Tadschike: Er telephonierte den ganzen Tag und ließ seine Frau arbeiten, die Dinge regeln, entscheiden. Kamen Gäste, scheuchte er Maysara wie ein Pascha, waren die Gäste gegangen, spülte er brav das Geschirr. Am liebsten hätte er jetzt die herrlich präzis bestickte Rückseite seiner Pornokrawatte gezeigt und sein Leid geklagt, daß sich fürs kommende Frühjahr kaum ein Tourist angekündigt habe. Seine Frau hatte genügend Gold im Mund, sie zog, wie’s sich gehörte, den Augenbrauenstrich über die Nasenwurzel, sofern es darauf ankam, gut. Abgesehen davon kultivierte auch Sher andere Idealvorstellungen von Weiblichkeit.
Blieb Maysara. Sie mochte Kaufner nicht, er mochte sie nicht, das machte die Sache kurz und einfach.
»Der Goldzahn hätte gut zur Goldkrone gepaßt!« keifte sie pro forma, freilich viel zu leise, als daß Kaufner überhaupt zu einer Erwiderung hätte ansetzen müssen: Zur Goldkrone und zu den goldenen Schuhen und Gewändern, die ihre Tochter am Hochzeitstag tragen werde.
Wortlos starrte Kaufner auf Maysaras flaumbärtige Oberlippe, auf ihre dicken Finger, schließlich auf die fleischigen Zehen mit den kurzgeschnittenen Nägeln. Damit war die Sache entschieden, selbst Maysara konnte ihm an diesem Tag nichts abschlagen. Wenigstens im nachhinein hatte er auf Shochi aufgepaßt.
Die Verstocktheit allerdings müsse ihr ausgetrieben werden, wenn nicht jetzt, wann dann. In diesem Punkt blieb Maysara eisern, jawohl, Verstocktheit, wer würde so eine je heiraten wollen. Kaum
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