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Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Titel: Samarkand Samarkand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Politycki
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Freiwillig geht da ja keiner hin, aber … wenn es Feisulla so will, mußt du’s natürlich tun.«
    Geplätscher eines Bachs aus nächster Nähe. Nachts um drei Konzert der Hunde, leicht verzerrt, wie aus weiter Ferne. Immer wieder schlug einer an, fielen die anderen ein.

    Ab fünf Uhr morgens krähten Hähne, brüllten Kühe, machte sich vor allem, mit Eifer herumhantierend und -raschelnd, ein Alter im Garten zu schaffen. Er hatte bloß noch ein Bein und ging an Krücken, das freilich mit Entschlossenheit. Sobald er sein Geschäft an einem Ort erledigt hatte, bewegte er sich zum nächsten, um dort weiterzurumoren. Mißmutig rappelte sich Kaufner empor. Um festzustellen, daß er erneut gefangengesetzt war, diesmal hinter hohen Lehmmauern. Nur zu seinem eigenen Schutz, sollte ihn später der General beruhigen, schließlich fühle er sich für seinen Freund Ali verantwortlich.
    Kaum hatte der Alte entdeckt, daß Kaufner aufgewacht war, krückte er fröhlich grüßend herbei, um auch gleich die Polster umzugruppieren. In einer Teekanne brachte er Wasser, schüttete davon sehr sparsam über Kaufners Hände, hatte sogar Seife und Handtuch dabei. Das alles unaufgefordert, im Eifer rutschte ihm manchmal der Oberschenkelstumpen aus dem abgeschnittenen Hosenbein.
    Anschließend servierte er ein üppiges Frühstück: Kirschen, Erdbeeren, ein Spiegelei in Baumwollöl, kleine Rundkuchen; den Kefir rührte er für Kaufner noch einmal frisch durch. Das Bein? Sei schon seit einem halben Jahr im Jenseits, von einer Handgranate erwischt. Sobald er »den einen oder anderen von ihnen hinterhergeschickt habe« (er beließ es beim zähnefletschenden »ihnen«), komme er mit dem restlichen Körper nach. Zum Glück brachte er auch ein Kompott, mit dem man die ziegenhafte Zudringlichkeit des Kefirs übersüßen konnte.
    Der Garten lag am Hang. Dort, wo der Bach durch eine Aussparung im Mauerwerk in den Garten geführt wurde, fand das Frühstück statt, ein Teebett war direkt über das Geplätscher gestellt. Bequem überblickte man von hier aus die Üppigkeit der Anpflanzungen, das Spiegelgeflecht eines kunstvoll komponierten Kanalsystems. Dessen Wasser sammelten sich erst kurz vor der unteren Gartenmauer wieder zum Bach, um in der Brache zu verschwinden, die sich draußen als Landschaft anschloß. Man konnte bis zum Fluß sehen, da und dort waren bereits Traktoren hineingefahren, die auf Anhängern Wassertanks geladen hatten, sie wurden eimerweis von Frauen und Kindern befüllt. Darüber ein müder Morgenhimmel ohne jeden blauen Glanz, so voller Staub hing er. Jeden Tag konnte der Sommer aufziehen, in Samarkand würden es bald vierzig bis fünfzig Grad sein.
    In Samarkand?
    Öfters war der Name gestern gefallen, doch offensichtlich hatte keiner damit die Stadt gemeint, die Kaufner seit zwei Jahren kannte. Sondern? Ein Bergdorf, in dem das tatsächliche Grab Timurs lag? Irgendwo hinterm
Tal, in dem nichts ist
? Daß es bis in die mittleren Höhen des Turkestanrückens – Zaun hin oder her – Dörfer gab, war Kaufner bekannt. Aber ausgerechnet eines mit Namen Samarkand? Wir werden sehen, beschloß er, eins nach dem anderen.
    Fast den ganzen Tag verbrachte er auf dem Teebett, der Schatten mehrerer Maulbeerbäume wanderte so, daß man es selbst in der Mittagshitze wunderbar darauf aushielt. Die weißen Früchte wuchsen einem fast in den Mund, sie schmeckten erfrischend säuerlich. Ein Garten Eden, dachte Kaufner, mitten in der Hölle ein Stück vom Paradies. Vielleicht waren dessen andere Teilstücke ja andernorts versteckt auf der Welt, spekulierte er weiter, man erkannte sie dort bloß nicht so deutlich, weil die Mauern nicht hoch genug waren. Vielleicht gab es das Paradies auch nur für diejenigen, die in der Hölle steckten, als kurze Pause, Gnadengeschenk und höhere Folter in eins? Während es alle anderen gar nicht wahrnehmen, geschweige erkennen, geschweige aufsuchen konnten?
    So lag Kaufner, so dachte Kaufner. Wenn er sich dabei nicht vom Geplätscher einlullen und in Schlaf wiegen ließ, ließ er sich vom Alten mit Tee versorgen und spielte mit dem Gedanken, sein restliches Leben hier liegenzubleiben und zu verlottern. Zumindest diesen Sommer lang. Dem Bach lauschen, dem Flirren des Lichts zusehen, das durch die Blätter über ihm brach, den Sonnenflecken auf den Kissen, sich aussöhnen mit der Welt.
    Danach, beschloß Kaufner, danach.
    Es war das erste Mal, daß ihn die Erschöpfung vom Weg abbringen wollte und jeden Gedanken an

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