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Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Titel: Samarkand Samarkand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Politycki
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Zigeuner Frühstückssuppe kochen). Es konnte losgehen.
    Als erstes zog man dem Stier das Fell – erst mal nur vom Bauch (eine gute Kuhhaut bringe in Kasachstan tausend Rubel). Einer wischte das Blut vom Fleisch, das unterm Fell, weiß mit roten Schlieren, hervorkam; das Tuch mußte öfters in einer Schüssel Wasser ausgewaschen werden. Das Blut in der Grube warf Blasen (etwa zwölf Liter, es werde als Futter für große Hunde und Kampfhähne verkauft). Dann wuchtete man den Stier so hin, daß die andere Bauchhälfte freigelegt werden konnte, der Körper wurde seitlich durch Pflöcke, später auch durch Kissen blockiert. Mittlerweile schabten und schnitten mehrere Männer gleichzeitig. Einer schlitzte die Haut am Bauch vorsichtig auf, fuhr dabei mit der anderen Hand in den Schlitz hinein, um den Darm vor der Messerspitze zu schützen. Schon quoll er gluckernd hervor, der Darm; ein grau glänzender Magen; stramm schimmernde Genitalien; eine riesige Leber. Als das Zwerchfell aufgeschnitten wurde, entwich zischend die Luft.
    Das Brustbein hackte Taifun persönlich mit fünf Axtschlägen durch, stemmte die beiden Brustkorbhälften auseinander. Herz, Lunge, Luftröhre, letztere so dick wie ein geriffelter weißer Gartenschlauch, wurden an Nägeln aufgehängt, das Blut mit einem Plastikbecher aus der Leibeshöhle geschöpft, am Ende mit dem Lappen ausgewischt.
    Noch immer zuckte es im Fleisch, dabei schnitt man bereits Griffschlitze hinein, um besser daran ziehen zu können, schnitt Löcher in die Sehnen der Beine, um dort später Haken durchzuführen, zum Aufhängen. Einer legte den Kopf des Stiers zu den Unterschenkeln (ebenfalls eine Zigeunermahlzeit), ein anderer hackte das Steißbein mit der Axt auf, brach es schließlich mit beiden Händen auf. Parallel dazu wurde der Stier – falls man das, was von ihm verblieben, überhaupt noch so nennen konnte – immer weiter gedreht, das Fell immer weiter abgezogen, das Blut aus der Leibeshöhle gewischt. Während der Schwanz abgeschnitten wurde (eine Delikatesse), wurde der Rumpf des Stiers von zwei Männern aufgerichtet, auf daß das Rückgrat aufgehackt werden konnte.
    Wenige Augenblicke später hing das Tier in vier großen Teilen an einem Drahtseil, das knapp unter der Decke verlief. Weitere kleine Teile hingen von verschiedenen Nägeln an der Wand (und so würde alles zwei, drei Stunden abhängen, über Nacht komme es in den Kühlschrank). Die Innereien lagen in verschiedenen Blechschüsseln, das Fell einen Moment ausgebreitet am Boden, schon wurde es zusammengelegt und -gerollt. Einer kehrte das geronnene Blut in die Grube. Bevor die Arbeit getan war, wurde jedes Teil gewogen und das Gesamtgewicht errechnet, 249 Kilo, sodann der Preis mit dem Zwischenhändler ausgehandelt (einer der Männer, die mitgeholfen hatten), drei Millionen Som. Nein, in Rubeln rechnete hier keiner, schließlich war man unter Türken.
    Keine Dreiviertelstunde hatte die Schlachtung gedauert. Jetzt, nachdem er sich die Hände gewaschen, trat Taifun auf Kaufner zu, um ihn zu begrüßen.
    Nein, zum Zaun gehe es heute nicht mehr. »Ich bin Schlachter, Onkel, kein Zauberer.«
    Taifun lachte. Er war vielleicht erst vierzehn, stank jedoch schon wie ein Kerl. Er lud Kaufner zum Abendessen, eine kalte beigefarbene Nudelsuppe, sie schmeckte nach schmutzigem Geschirr. Morgen abend werde er ihm etwas Besseres bieten können, Stier. Nein, früher gehe es nicht. »Ich heiße Taifun, Onkel, nicht Feisulla.«
    Es komme darauf an, zum richtigen Zeitpunkt den richtigen Posten am Zaun zu wissen, die richtige Streife, den richtigen Wachhabenden. Welch eine Organisation! Natürlich wollte Taifun dafür Geld. Nicht für sich selbst, er sei nicht käuflich, für Geld mache er gar nichts. Bei den Russen hingegen sei’s umgekehrt,
ohne
Geld machten sie nichts. Warum Kaufner denn rüberwolle?
    »Weil es Feisulla so will.« Kaufner hatte keine Lust auf weitere Erklärungen.
    »Der Zaun ist gut für uns«, beschwichtigte Taifun, »wenigstens von dort können sie jetzt nicht mehr kommen.«
    Er habe nichts gegen den Zaun, versetzte Kaufner.
    »Nur gegen jemand, der auf der anderen Seite ist!« Taifun lachte grimmig, offensichtlich hatte man ihn auch darüber informiert. Er führte Kaufner durch eine dunkle Nacht bergab – nirgendwo im Dorf sah man ein Licht brennen – und in einen Garten, wo er ein paar Polster und Kissen unter ein Schilfdach hatte schaffen lassen: »Ich kapier’ schon, Onkel, du willst nach Samarkand.

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