Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)
eine Antwort.
»Ich möchte über die Sprache der Poesie reden, und ich muß über den Einsatz von Panzerfäusten und Raketen reden.«
Braun gebrannt und wohlgenährt lag er auf den Polstern, Kaufner konnte den Blick nicht von seinen Händen lösen, vom Ring, den er (und wer weiß, wer sonst noch) hatte küssen müssen. Hände, die nicht etwa einem Schlachter, sondern einem Schöngeist gehörten, Hände, an denen gleichwohl »das meiste Blut« klebte und die trotz allem so aussahen, als hätten sie ein Leben lang nur …
»Ich möchte über die Fragen des Glaubens nachdenken, und ich muß darüber nachdenken, was ich mit dem Derwisch mache, den mir meine Leute heute aus dem Fluß gefischt haben.«
Der Alte brachte rotweiß und schwarzweiß eingewickelte Bonbons zum Nachtisch, dazu Granatapfelsaft und
Kosmos
-Zigaretten.
Ein Tadschike bleibe immer ein Tadschike, selbst im Gewand eines Bettelmönchs, so weit war dem General die Sache klar. Mit den Türken und den Völkern der Steppe wolle sich ein Tadschike nicht gemein machen, er dünke sich was Besseres. Und das nur, weil er runde Augen habe und Farsi verstehe, als ginge man deshalb schon als Perser durch! Was sein Freund Ali denn mit dem Derwisch tun würde?
Er beneide jeden, der einen Glauben habe, gab sich Kaufner moderat, auch wenn’s ein Irrglauben wäre.
»Aber sie pissen auf den Koran!« empörte sich Feisulla: »Sie schmähen den Propheten, sie mißachten die Gebote der Scharia, sie bezeichnen sich selber als Gott!«
»Vielleicht sind sie geisteskrank?« vermutete Kaufner: »Krank vor Erleuchtung?«
Krank seien sie mindestens, schnaubte Feisulla, und er werde sie kurieren! Zumindest die Zunge werde er »seinem« Derwisch herausschneiden müssen, andernfalls hätte er bald niemanden mehr, der für die gute Sache kämpfen wolle.
Bis Mitternacht rauchte und redete er weiter. Darunter Sätze wie »Alles, was ins Salz fällt, wird nach einer Zeit selber Salz« oder »In einer wüsten Welt kann nur der Wüste überleben und unter Wüsten nur der Allerwüsteste«.
Endlich wurde gemeldet, sein Wagen sei vorgefahren. Der General sprang auf, um ein Haar hätte er seinen Freund Ali zum Abschied umarmt. Einer der Männer, die draußen das Gartentor bewacht hatten, öffnete den Schlag für Kaufner. Feisulla konnte ihm gerade noch ein Gedicht mit auf den Weg geben:
»Ihr Makel ist, ganz ohne Fehl zu sein./Des Tages Strahl’n verlischt in ihrem Schatten./Die braune Nacht erstrahlt in ihrem Leuchten.«
Vom Präsidenten? fragte Kaufner und stieg ein.
Feisulla nickte. Er halte es für ein gutes Gedicht, ob es ihm gefallen habe?
»Sicher.« Kaufner lächelte sogar.
Neben ihm auf der Rückbank saß der Schlachter. Nein, in Mugolon sei der Zaun heute »dicht«, es gebe indes »ein Loch« in Khojapandsch. Taifun nutzte die kurze Fahrzeit, um Kaufner in das einzuweisen, was ihn hinterm Zaun erwarte: Immer am Kanal entlang, dann in die Schlucht hinein und weiter im Bach, immer weiter, so weit wie möglich. Ob Kaufner bereit sei?
»Sicher«, sagte Kaufner. In seinem Bauch rumorte es.
»Wir können dich nach drüben bringen, Onkel. Aber auf der anderen Seite können wir nichts mehr für dich tun, da mußt du selber zusehen, wie du klarkommst.«
Der Wagen hielt kurz vor dem Zaun, Taifun ging auf die Gruppe an Soldaten zu, die dort stand. Begrüßte einen davon, wohl den Postenführer, mit einem langen Handschlag, winkte Kaufner nachzukommen. Im Stacheldraht, der durch die Maschen des Zauns gewickelt war, hing eine tote Ziege, vom Flutlicht bestens beleuchtet. An der Stelle, wo der Posten wartete, führte ein kleiner Kanal unter dem Maschendraht hindurch. Es roch nach Heu und mußte schnell gehen.
»Halt dich gut an deinem Zahn fest, Onkel!« Taifun gab ihm einen Klaps auf den Rücken. »Und nicht an den Zaun kommen, du siehst ja, der steht unter Strom.«
Taifun stand selber unter Strom. Der Russe machte allerdings keine Anstalten, anscheinend war der Händedruck für seinen Geschmack nicht kräftig genug ausgefallen. Seine Kameraden hielten sich im Abseits und sicherten in alle Richtungen; was hinter ihrem Rücken geschah, wollten sie nicht sehen. Ein kurzes Wortgeplänkel, Taifun mußte zurück zum Wagen. Freundlich wandte sich der Postenführer an Kaufner, blickte ihn aus geschlitzten Augen an, erkundigte sich auf Russisch, was er drüben wolle. Da Kaufner keine Antwort gab, fragte er, warum er jemand rüberlassen solle, der nicht mal antworte?
»Weil ich aus
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