Samstags, wenn Krieg ist
zu. Der Duft von Baldrian und Fenchel.
Abendduft, denkt er. Als ich klein war, roch es oft so. Aber nie tagsüber. – Warum denke ich so oft an früher? Ich sollte das nicht tun. Es macht mich irgendwie so weich.
Der Tee muss ziehen. Acht Minuten.
Siggis Mutter setzt sich. Übergangslos beginnt sie: „Willst du nicht endlich aufhören mit dem ganzen Mist?“
Er weiß, was sie meint. Sie muss es nicht weiter ausführen.
„Mutter, die Kanaken müssen raus aus Doitschland. Du hast doch selbst gesagt …“
Sie hebt abwehrend die Hände und senkt sie dann langsam auf die Tischplatte. Natürlich wirft er ihr das jetzt wieder vor. Sie hat damals gemeckert, weil so viele türkische Kinder in seiner Klasse waren. Türken. Libanesen. Ein Russe. Syrer. Und zeitweise auch ein Mädchen aus Ghana.
Fünf Sprachen wurden in der Klasse gesprochen. Der Lehrer selbst beherrschte vier. Deutsch. Englisch. Französisch. Latein. Das half ihm aber nicht weiter.
„Man zündet keine Häuser an. Man prügelt sich nicht mit Leuten, nur weil sie eine andere Hautfarbe haben.“
„Ach Mama, das verstehst du nicht. Da draußen, da geht es knochenhart ab. Du oder ich heißt es da. In dem Dschungel überleben nur die Stärksten.“
Sie schüttelt den Kopf. Sie will das nicht hören. „Mach dir die Aufnäher von der Jacke. Zieh dir was anderes an. Lauf endlich vernünftig rum.“
„Liebst du dieses Land denn gar nicht?“, fragt Siggi.
Frau Schmidtmüller schaut ihn an und überlegt.
„Ich liebe meinen Mann und meine Kinder“, sagt sie, und dann, als müsse sie es konkretisieren: „Den Papa. Den Johannes und dich.“
Ihr Satz rührt Siggi so sehr, dass er denkt: Ich würde alles tun, um diese Frau zu beschützen. Jeden Feind würde ich mit bloßen Händen kaltmachen. Sie ist so gut.
Ihr Gesicht zuckt. Ihre Lippen zittern. Nur mühsam bringt sie es heraus: „Und unsere Renate natürlich. Die habe ich auch geliebt.“
Dann brechen die Tränen aus ihr hervor. Sie heult in die Armbeuge. Siggi kniet sich vor ihr auf den Boden und streichelt ihren Kopf. „Mama“, sagt er hilflos, „Mama.“
Und in ihm tönt ein Kämpfer, der selbst Liebe in Wut verwandelt: „Töte Gino. Bring alle um, die diese Frau leiden lassen. Tu es für sie. Töte.“
58
Die Brandblasen auf Vera Bilewskis Rücken heben ihre Laune nicht gerade. Die Nachrichten aus dem Labor sind Balsam für ihre geschundene Haut. Genüsslich zählt sie für Kramer alles auf.
„Die Blutspuren im Auto sind eindeutig von Renate Schmidtmüller. Kurz vor ihrem Tod muss sie mit Gino Oliverio geschlafen haben. Sie war voller frischem Sperma. Es fehlen aber die typischen Verletzungen einer Vergewaltigung.“
„Du meinst, sie haben es miteinander gemacht, und dann hat er sie erwürgt?“, fragt Kramer kritisch.
Sie geht auf diesen Punkt nicht ein. Sie reiht weiter Indizien aneinander. Gerade sie.
„Indizien beweisen gar nichts, es kommt nur darauf an, wie wir sie bewerten und einordnen, dann kommt unter Umständen das genaue Gegenteil heraus!“
Kramer zitiert sie. Der Satz kommt wie eine Ohrfeige. Genauso ist er auch gemeint.
Natürlich glaubt Kramer genauso an Gino Oliverios Schuld wie Vera, aber er musste durch ihr Herumnörgeln an seiner Ermittlungsarbeit schon so viele verletzende Niederlagen einstecken, dass er es ihr jetzt gerne mit gleicher Münze zurückzahlt.
Was heute richtig ist, kann morgen falsch sein. Kramer merkt sich jeden belehrenden Satz von ihr und heftet ihn geistig unter der Rubrik ab: „Damit krieg ich dich später, Baby.“
„Die Wagenspuren am Waldrand sind von Oliverios Trabbi.“
Kramer zuckt mit den Schultern. Davon war er immer sicher ausgegangen.
„Aber nun halte dich fest: Der Wagen wurde aus dem Graben geschoben.“
Diese Nachricht bringt Kramer aus der Fassung.
Er greift über den Tisch, zieht den Bericht an sich. Er nickt anerkennend. „Da haben die Jungs von der Spurensicherung ja ganze Arbeit geleistet.“
„Hinten auf dem Auto sind die Fingerabdrücke. Deutlicher als nötig. Geradezu bilderbuchhaft. Wo der Wagen aus dem Graben geschoben wurde, Schuhabdrücke. Tief genug, um die Dinger nachzubauen.“
Vera Bilewski hat noch mehr auf Lager, aber Kramer lässt sie nicht weiterreden. „Du meinst: sie waren zu zweit?“
Vera nickt. „Jedenfalls stammen die Fingerabdrücke nicht von Gino Oliverio. Er hat den Trabbi nicht selbst angeschoben.“
„Aber das passt doch alles nicht zusammen.“
Vera geht zur Kaffeemaschine.
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