Samstags, wenn Krieg ist
auf dem Dach!“, schreit Kramer.
Jetzt sieht Vera Bilewski ihn auch. Gino Oliverios Körper schiebt sich zwischen Vera und den Mond. Sie zeigt auf ihn.
„Da!“
Die Schutzpolizisten entsichern ihre Waffen.
Komisch, denkt Vera. Männer ziehen immer schneller. Sie denken einfach sofort daran. Als sei es die eigentliche, die naheliegende Lösung, zur Pistole zu greifen.
Gino springt vom Dach. Er federt neben dem Grill auf. Frau Christen schreckt zurück und zieht ihren Sohn zu sich. Beschützerinstinkt.
Gino tritt den Grill um. Fett spritzt. Würstchen, Glut und ein Grillrost fliegen Vera Bilewski vor die Füße. Sie lässt sich dadurch nicht bremsen, schlägt einen Bogen.
„Halt! Stehenbleiben!“
„Hau ab! Blöde Möse!“ Gino greift nach der langen Fleischgabel und sticht damit in Richtung Vera.
Sie kriegt seine Hand zu fassen. Hinter ihr tauchen Kramer und ein Schupo auf. Sie würden beide gerne die Sache mit einer Kugel erledigen, aber Vera steht im Weg.
Gino schlägt nach ihr. Jetzt hat sie auch seine andere Hand. Er brüllt, als ob sie ihm Schmerzen zugefügt hätte. Da lockert sie ihren Griff. Er reißt sich los und schubst sie um. Sie taumelt nach hinten, stößt gegen den Grill und fällt rückwärts in die Glut. Sie rollt sich ab, aber an zwei Stellen drückt sich die heiße Holzkohle in ihren Rücken.
Sie schreit. Zieht blitzschnell ihr Oberteil aus, wirft es angewidert weg. Jemand klopft auf ihrem Rücken herum. Sie ist froh, heute einen BH zu tragen, möchte aber auch ihn am liebsten abreißen.
Gino Oliverio sieht in zwei Pistolenläufe. Er spürt, dass beide Männer nur zu bereit sind, abzudrücken. Er hebt die Arme und fleht: „Nicht schießen. Bitte nicht schießen. Ich war es doch nicht. Ich nicht.“
Kramer legt ihm Handschellen an. Für Vera wird ein Arzt gerufen. Frau Christen holt ihr eine Decke und Herr Christen gießt ihr einen Obstler ein. Dann nimmt er selber auf den Schrecken einen.
Für ihn, erzählt er, ist Gino ein netter junger Mann.
„Höflich. Ordentlich. Naja, solange er meine Tochter in Ruhe ließ, war es mir egal. Wissen Sie, hier auf dem Campingplatz weiß das jeder. Dieser Wagen hier war sein Liebesnest. Wenn der wenigstens nicht immer so laut gewesen wäre … wenn Sie wissen, was ich meine. Manchmal hat man sich ja richtig geschämt. Wegen der Kinder. Aber sonst – ich kann nichts Nachteiliges über ihn sagen. – Wer ersetzt mir denn jetzt eigentlich die Würstchen? Und überhaupt. Der Grillabend ist im Eimer.“
57
Seit Renates Tod muss Siggi sich besaufen, bevor er einschlafen kann. Ein paar Bier reichen nicht. Schnaps ist am besten. Wein tut es zur Not auch.
Zum Glück gibt es im Keller ein Weinregal mit zwei Dutzend Flaschen. „Unseren Weinkeller“ nennt Schmidtmüller das Eckchen neben dem Schrank für die Wintermäntel.
Siggi holt sich eine Flasche aus dem Keller. Er mag keine Weingläser. Die sehen so vornehm aus.
Er schüttet den Wein in sich hinein, als sei er ein Auto, das betankt werden muss.
Er will die anderen jetzt nicht sehen. So etwas hat er manchmal. Er versteht sich dann selber nicht. Plötzlich nerven ihn Sachen, die er sonst immer geil oder cool oder oi findet. Auf einmal drehen sich die Dinge, dann könnte er Wolf die Zähne einschlagen, findet alle Ultras idiotisch und ihren Aufzug lächerlich.
Er wünscht sich dann einen gedeckten Kaffeetisch mit Kuchen und gestickter Tischdecke. Weiche Teppiche, die jedes Auftreten dämpfen.
So war es manchmal samstags, als er noch klein war, vor Yogis Unfall. Als er mit der Nase nur gerade an die Tischkante kam und Yogi ihn hochhob, damit er die Erdbeertorte bewundern konnte. Sie durften noch nicht an die Torte. Mutter wartete noch auf Tante Sophie.
Siggi konnte es vor Vorfreude kaum aushalten. Yogi stahl die größte Erdbeere vom Mürbeteig und teilte sie unter der Tischdecke brüderlich mit ihm.
Warum ist jetzt alles so kaputt, fragt Siggi sich. Warum kann ich nicht mehr unbewaffnet auf die Straße? All diese Schlägereien mit Punks, Autonomen und Türken. Manchmal ist er das einfach leid. Warum kann man nicht in Ruhe das Leben genießen? Leben und leben lassen, wie Renate das nannte.
Ach ja, Renate. Zu gut für diese Welt. Von wem war der Spruch? Von Wolfi. Natürlich. Weil sie es gemein fand, dass Wolfi den Pakistani ins Gesicht trat, nachdem er zu Boden gegangen war.
Lass ihn in Ruhe, Wolfi, bitte, hatte sie damals gefleht.
Aber Wolfi trat nur um so wütender auf den Pakistani
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