Samstags, wenn Krieg ist
man nicht weiß, wer es war, hat der Zorn kein Ziel.
Gino Oliverio muss so schnell wie möglich wieder hinter Gitter. Die Lage in Ichtenhagen ist schon explosiv genug.
Gino hat kein Licht gemacht. Seit seine Nachbarn eingetroffen sind, sitzt er auf dem Boden unterm Tisch und raucht. Die Hände hat er sich dick mit Speiseöl eingerieben.
Es gibt eigentlich genug Konserven im Wohnwagen, aber er traut sich nicht, den Gasofen anzumachen. Niemand soll ihn bemerken. Der Campingplatz ist zu nah an Ichtenhagen. Alle hier kennen ihn und wissen, dass er gesucht wird.
Draußen, direkt neben dem Wohnwagen, grillen die Christens fröhlich Würstchen. Der Duft von Fett, das auf glühende Holzkohle tropft, lässt Ginos Magen verrückt spielen.
Er kennt die Leute. Sie sind nett. Einmal haben sie ihm ihr Schlauchboot geliehen. Seine Mama hat ihnen von ihrem Kuchen gegeben. Sein Papa half, den alten Rasenmäher zu reparieren. Noch vor ein paar Tagen hätte er zu ihnen rausgehen können. Er wäre eingeladen worden, mit ihnen zu essen. Er hätte ein Bier bekommen und ein Würstchen. Niemand hätte etwas Böses gedacht.
Doch jetzt ist alles anders. Er sitzt im Dunkeln unterm Tisch, kaut kalte Konserven, trinkt aus den aufgehebelten Dosen und traut sich nicht einmal, das kleine Radio anzumachen. Dabei kommt er bestimmt in den Nachrichten vor.
Einmal im Leben ist man in den Nachrichten, und dann kriegt man es nicht mal mit. Er findet den Gedanken fast lächerlich. Obwohl ihm sein Leben zerstört vorkommt. Zerstört von den Ichtenhagener Ultras. Den deutschen Faschos.
Wird sein Leben je wieder so werden wie früher? Er fühlt sich abgeschnitten von dem, was einmal war. So als sei es unwirklich geworden. Nie geschehen. Eine Illusion. Das hier ist die Wirklichkeit. Der harte Boden des Wohnwagens. Die Rückenschmerzen. Der aasige Eierravioligeschmack. Die kalten Erbsen mit Möhren. Die brennenden Hände.
Das Gelächter der Christens klingt für ihn wie Hohn. Es macht ihn sauer. Wie können Menschen so unbeschwert sein? Ihre Würstchen im Freien grillen ohne Angst vor einem Überfall. Laut erzählen sie ihre Witze und lachen noch lauter darüber. Wissen die nicht, was los ist in ihrem Land? Es herrscht Krieg. Krieg. Krieg.
Plötzlich erstirbt das Lachen draußen. Die Fröhlichkeit hat Pause. Es ist merkwürdig still.
Gino hört das Fett ins Feuer tropfen. Was ist los? Warum feiern die nicht weiter? Sind Carlo und Salvatore endlich mit Dieter da?
Nein. Die beiden wären nicht blöd genug, hier einfach so … Sie würden Maria vorschicken.
Wenn es in diesem Scheiß-Wohnwagen wenigstens ein Telefon gäbe!
Da hört er die Stimme von Frau Christen: „Da ist niemand. Suchen Sie den Gino? Der ist nicht da.“
Polizei!
Gino kraucht unter dem Tisch vor. Er verletzt sich an der offenen Raviolidose. Er zieht den Tisch ein Stück vor und klettert darauf. Er versucht, durch das Oberlicht aufs Dach zu entkommen.
Klopfen an der Tür. Vera Bilewskis Stimme: „Herr Oliverio. Kommen Sie mit erhobenen Händen heraus. Sie haben keine Chance. Der ganze Platz ist umstellt.“
Die Luke ist zu eng. Gino bricht den Plastikrahmen raus und zieht sich hoch. Die Hitze in seinen Fingern müsste ausreichen, um den Wohnwagen in Brand zu setzen.
Gino ist schlank. Aber er bleibt in der Öffnung stecken. Plastik schneidet in seine Hüften. Er stemmt sich raus. Es ratscht. Die Hose reißt und die Haut darunter auch.
Er beißt die Zähne aufeinander, dass es knirscht. Er spürt das warme Blut an den Beinen herunterlaufen. Egal. Was bedeutet eine Hose, was die paar Schnitte, wenn es um Freiheit und Leben geht? Um den Schutz der Familie und die Ehre?
„Brechen Sie die Tür auf“, sagt Vera zu einem Beamten.
Er schaut sie an. „Eigentlich müssen wir dazu einen Schlosser …“
Kramer zieht den Typen weg. Diesen ganzen Quatsch hört er sich nicht an. Er will diesen Fall lösen, bevor ihm wieder die Stars aus der Großstadt die Show stehlen. So eine Wohnwagentür ist für Kramer kein Hindernis.
Herr Christen steht jetzt neben Vera Bilewski. Er wird laut. „Was soll der Unfug? Es ist niemand im Wagen! Sie können den doch nicht so einfach aufbrechen!“
„Ach nein!?“, spottet Kramer.
Schon bricht die Tür nach innen ein, obwohl sie eigentlich nur nach außen zu öffnen ist. Kramer fällt in den Raum und sieht sofort die offenen Konservendosen. Er zieht augenblicklich seine Dienstpistole. über ihm verschwinden Ginos Füße durch die Luke.
„Er ist
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