Samstags, wenn Krieg ist
Haare wie Petra. Yogi mag das. Besonders wenn sie sie so schwungvoll nach hinten wirft. Rotregen. Flatternetz. Streichelwolle.
Plötzlich rennt Siggi herbei. Die junge Frau erschrickt. Sie hat Siggi nie zuvor gesehen. Die Enten flattern ängstlich auf den sicheren Teich zurück. Siggi packt Yogi hart am Hemd.
„Lass die Frau in Ruhe!“
Yogi hält sich die Hände vors Gesicht. Die Ellenbogen hoch. Wenn Siggis Stimme diesen Ton hat, fürchtet Yogi sich vor Siggi. Als ob Siggi ein anderer wäre. Gegensiggi. Schwarzsiggi. Bösesiggi. Teufelchen.
Siggi verpasst seinem Bruder ein paar Ohrfeigen durch die Deckung. Das hätte ich schon lange tun sollen.
„Tu das nie wieder! Hörst du! Du darfst das nie wieder tun!“
Siggi haut noch einmal zu, er will die Sätze in Yogi hineinprügeln.
Fingernägel krallen sich in seine rechte Schulter.
„He! Der hat Ihnen nichts getan! Lassen Sie ihn!“
Siggi schiebt die Frau einfach weg und zieht Yogi mit sich.
„Ihr verdammten Nazischweine!“, schreit die Frau. „Vergreift ihr euch jetzt schon an Behinderten? Warum prügelt ihr euch nicht mit euresgleichen?“
Scheinbar furchtlos stürmt sie, ihr Kind an der Hand, hinter Siggi und Yogi her.
„Hilfe!“, brüllt sie. „Hilfe! Ruf doch jemand die Polizei!“
Siggi bleibt abrupt stehen und hebt drohend den Zeigefinger in ihre Richtung, wie Lehrer Bauer es gern tat. „Hau ab, du blöde Schlampe, bevor ich ausflippe! Ich hab dir nur geholfen! Kapierst du das nicht?“
Spaziergänger kommen herbei. Die Frau kreischt immer lauter. Der kleine Markus an ihrer Hand weint.
Siggi hört gar nichts mehr. Die Hand hat wieder sein Herz. Ich rette die blöde Möse und sie macht mich zur Sau! Aber so ist das. Im Kleinen wie im Großen. Wir werden auch Doitschland retten. Ob Doitschland will oder nicht.
64
Yogi sitzt vor dem Fernseher. Tennis.
Elke Schmidtmüller will Klarheit. Ihr Mann soll endlich Stellung beziehen.
„Ach“, Schmidtmüller winkt ab und wirft Yogis Zeichnungen auf den Tisch. „Die Psychologen. Was wissen die denn schon?“
Frau Schmidtmüller löst eine Tablette in Wasser auf. „Der Junge hat etwas gesehen.“
„Ja … vielleicht. Vielleicht auch nicht. Er kann nicht als Zeuge aussagen. Wie denn? Wir müssen ihm das ersparen. Er ist doch noch ein Kind.“
Sie setzt das Glas an, trinkt aber nicht, als könne sie unmöglich schlucken, bevor die Sache entschieden ist.
Sie weiß nicht, wie sie es ihrem Mann beibringen soll. Petra Freitag hat ein paar von Yogis Zeichnungen der Polizei vorgelegt. Sie durfte das wahrscheinlich nicht, aber sie hat es getan. Elke Schmidtmüller versucht nun, nachträglich bei ihrem Mann so etwas wie Verständnis zu wecken. Sie mag Petra Freitag. Sie hat sich immer rührend um Yogi gekümmert.
Frau Schmidtmüller hätte ihrem Sohn den Ärger gern erspart. Aber jetzt ist es nun mal so. Daran kann niemand mehr etwas ändern.
„Sie werden ihn quälen mit ihren Fragen, die er nicht versteht, ihren Tests. Und dann stell dir mal Johannes als Zeuge in einem Prozess vor, im Kreuzverhör durch Staatsanwalt und Verteidiger. Sie werden versuchen, seine Glaubwürdigkeit zu widerlegen. Unser Familienleben wird an die Öffentlichkeit gezerrt. Sie werden Yogi fotografieren und … die Leute werden mit Fingern auf uns zeigen.“
„Warum mit Fingern auf uns zeigen?“
Schmidtmüller antwortet nicht, aber in seinem Schweigen liegt tiefe, unaussprechliche Scham.
„Wir werden heute Abend zu der Selbsthilfegruppe gehen“, sagt sie und wundert sich über ihre Bestimmtheit. Sie kippt die Sprudeltablette wie einen Cognac nach einer schlimmen Nachricht. „Es ist gut, dass es diese Gruppe gibt. Am Anfang tat schon allein das Gefühl gut, nicht als einzige Familie auf der Welt so ein Problem zu haben“, fügt sie hinzu.
Ihr Mann geht eigentlich auch ganz gern zu der Elterngruppe, der Schmerz wird zwar immer wieder frisch aufgerissen, aber trotzdem fühlte er sich nach den Treffen immer besser als vorher. Irgendwie mehr bei sich. Aber heute weiß er, es geht um mehr.
Petra Freitag hat ihre kriminalistische Ader entdeckt. Vielleicht weil sie sich durch das Verbrechen an Renate persönlich bedroht fühlt. Als Frau.
Manchmal sieht sie sich als potentielles Vergewaltigungsopfer und alle Männer werden mögliche Verbrecher. In solchen Zeiten kann sie sich nicht verlieben. Dann hält sie es mit einem Mann allein in einem Raum nicht aus. Sie benutzt dann keine Fahrstühle, geht wenig aus, und wenn,
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