Samstags, wenn Krieg ist
ich im Fernsehen gesehen. Die bauen so eine Plastikpumpe ein. Dann kannst du wieder und so oft du willst.“
„Hau ab, du blöder Arsch!“, brüllt Dieter. Er schlägt nach Jürgen, erwischt ihn aber nicht, weil er sich nicht richtig bewegen kann. Über dem Becken ist eine Art Käfig aufgebaut, damit seine Wunde nicht durch die Decke belastet wird. So druckempfindlich war er noch nie. Die kleinste Bewegung schmerzt, dass es ihm die Tränen in die Augen treibt.
„Wenn einer über mich lacht, nur ein einziger! Ich leg ihn um!“
Jürgen weicht zurück. Er hat schon ein paarmal Seite an Seite mit Dieter gekämpft. Damals beim Länderspiel zum Beispiel gegen die englischen Hooligans. Wenn Dieter fighten kann, dann lebt er wirklich. Seine trüben Augen werden wach. Feurig. Sein ganzer Körper ist eine einzige Energieladung und nicht mehr so ein schlaffer Haufen Fleisch.
Doch solche Wut, solche Lust am Töten hat Jürgen noch nie bei Dieter gesehen. Schlagartig wird Jürgen bewusst, wie gefährlich dieser Mann wirklich ist. Der hatte nie ein Interesse an Politik. Der will Zoff. Randale. Blut. Ihm ist völlig egal, ob es gegen Fußballfans geht, gegen Türken, Behinderte oder Bullen. Er haut auch gern Schwule und Lesben zusammen. Aber letztendlich ist es ihm wurscht.
Er wäre gern Aufseher im KZ geworden. Das hat er sogar einmal in der Schule gesagt. Damals dachte Jürgen, er hätte nur die Lehrerin provozieren wollen. Jürgen hat laut gelacht und Beifall geklatscht. Jetzt weiß er: Dieter hat einfach nur die Wahrheit gesagt.
Jürgen verabschiedet sich nicht. Er verlässt das Krankenzimmer wie auf der Flucht.
Er geht in Richtung Polizeipräsidium. Es ist sein zweiter Anlauf. Vielleicht wird er es diesmal schaffen. Dieters Zorn treibt Jürgen an und hält ihn zugleich ab.
Jürgen hat gehört, dass die Polizei Aussteiger sucht. Sie haben zu wenig Informanten in der Szene. Es ist schwer, welche reinzuschleusen und darum versuchen sie, einige Skins zu gewinnen.
Man kriegt dann ein richtiges Gehalt, hat er gehört. Zum Beispiel zweitausend Mark im Monat. Man lebt weiter wie bisher. Alles ist okay. Man hat die gleichen Kumpels, säuft mit ihnen, macht Scheiß – nur ab jetzt braucht man sich nicht mehr vor den Konsequenzen zu fürchten. Kein Richter verurteilt einen V-Mann, der dabei war und mitgemacht hat.
Als V-Mann, denkt Jürgen, darf man alles. Rauben, brandschatzen, prügeln, vergewaltigen. Man kriegt sogar Geld dafür. Man tut es in staatlichem Auftrag.
Ein geileres Leben kann Jürgen sich nicht vorstellen. Er will sowieso zum Bund. Vielleicht hilft ihm das. Die werden doch ihre eigenen Leute nehmen.
Er hat einmal gehört, dass ein V-Mann, der auffliegt, neue Papiere kriegt. Einen anderen Namen. Startgeld. Eine eigene Wohnung in einer anderen Stadt. Das wäre es doch.
Scheiß auf den Hauptschulabschluss. Brauchen V-Leute Hauptschulabschluss oder gar Abitur?
Für jeden Mist braucht man das heutzutage. Die Erfahrung hat Jürgen gemacht.
Was, wenn die Bullen ihn auslachen und sagen: „Du willst unser Spion werden? Nee, nicht bei den Noten. Wie willst du denn deine Berichte schreiben? Glaubst du, du kriegst eine Sekretärin?“
Nee, Berichte schreiben will Jürgen nicht. Bloß das nicht. Schreibt James Bond Berichte?
Ich weiß, dass das Asylantenheim am Samstag hochgehen soll. Das muss denen als Einstand reichen. Aber ich weiß nicht, woher Wolf den Sprengstoff hat. Da hält die Sau dicht. Kann der etwa Gedanken lesen?
Als sie die P 7 Parabellum vergraben haben, da hat Wolf ihn so merkwürdig angeguckt, als hätte er eine Ahnung.
Jürgen steht vor dem Präsidium. Er hält sich in der Nähe einer Litfasssäule auf, um Schutz zu haben, falls jemand vorbeikommt, der ihn kennt.
Früher, denkt Jürgen, hat das alles viel mehr Spaß gemacht.
Jeden Samstag Randale. Pflastersteine und auch mal ein Brandsatz, aber keine Toten. Mehr als ein paar Monate Jugendarrest hat niemand riskiert. Im Grunde gab es selten mehr als eine Ermahnung vom Richter. Wer mal eine Nacht in Polizeigewahrsam verbrachte, galt schon als Held. Jetzt war alles so ernst. Es gab Leichen. Aus Keilereien war Mord geworden. Nach Mölln und Solingen konnte sich niemand mehr darauf herausreden, es sei alles nicht so gemeint gewesen. Jetzt wusste jeder, dass Mollies keine Knallfrösche sind. Benzinbomben in Häuser werfen, war schon lange kein Streich mehr, sondern ein Mordversuch.
Jürgen will auf jeden Fall am Samstag dabei sein, wenn das
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