Samtschwarz - Page, S: Samtschwarz
hatte, schüttelte er den Kopf.
„So ist es.“ Mit einem Klirren stellte Sir William sein Cognacglas auf den Tisch und nahm seine Brille ab. Dann rieb er sich die Schläfen. „Die Angelegenheit wird immer komplizierter.“
Mit nach hinten gestreckten Armen stützte Dash sich auf der Schreibtischplatte ab. „Kompliziert? Ich werde ein halbes Dutzend Menschen in meinem Haus versammeln, die mich tot sehen möchten.“
Der Blick des Richters ruhte auf ihm, eindringlich und neutral und gerade deswegen besonders anklagend. Sir William räusperte sich. „Im Wald hinter der Dorfkirche wurde die Leiche einer Frau gefunden. Sie ist schon sehr lange tot.“
Eine Frauenleiche – gefunden in dem Dorf, das nur eine Meile südlich von seinem Besitz lag. „Wie lange? Weiß irgendjemand, wer sie ist?“
„Ja, wir wissen, wer sie ist. Sie trug ein Medaillon, auf dessen Rückseite ihr Name eingraviert ist.“ Sir Williams Brille fiel auf den Teppich und sprang noch einmal hoch, wobei die Gläser das Licht der Flammen reflektierten. „Dash, es war Amanda Westmoreland.“
„Amanda“, wiederholte Dash. Schimmernde mahagonifarbene Locken und blaue Augen, aus denen Ruhe und Selbstsicherheit strahlten. Das Gefühl ihrer schmalen Hand auf seinem Unterarm, wenn sie spazieren gingen, sich angeregt unterhielten und fröhlich miteinander lachten. Amanda war reizend gewesen. Eine ganz besondere Frau. „Sie ist nach Gretna Green durchgebrannt. Mit dem Sohn des Verwalters. Sie hat eine Nachricht hinterlassen.“
„Offenbar hat sie es nicht bis dorthin geschafft.“
Eine Frau, die er geküsst hatte. Eine Frau, die er vielleicht geheiratet hätte – wenn er nicht diese verdammte Angst gehabt hätte, sein Onkel könnte sie als Teil seines Plans, an den Titel zu kommen, töten. „Es ist zehn Jahre her, dass sie durchbrannte.“ Seine Stimme hallte durch die Bibliothek – allerdings klang sie nicht wie seine Stimme. Sie hörte sich zu scharf an. Die Worte zu zittrig. „Warum jetzt? Warum hat nicht schon früher jemand die Leiche gefunden?“
„Sie war vergraben, wie es aussieht, obwohl das Grab sehr flach war. Es sah aus, als wäre es frisch ausgehoben worden.“
„Nach all diesen Jahren hat jemand ihre Leiche hierhergebracht? Wo war sie vorher?“ Er stieß sich vom Schreibtisch ab und begann, im Zimmer hin und her zu laufen, weil er plötzlich Bewegung brauchte. Ohne sein Zutun ballten sich seine Hände zu Fäusten und öffneten sich wieder. „Du kanntest sie.“ Er wandte sich Sir William zu und sah ihn an. „Du weißt, wie reizend sie war.“
„Allerdings.“ Der Richter senkte den Kopf und setzte sich wieder die Brille auf. „Du hast ihr sehr viel bedeutet, Dashiel.“
„Worum geht es hier? Meinst du, ich hätte es getan?“ Dash ließ den Kopf in die Hände sinken. „Mein Gott, wahrscheinlich war es mein Onkel, der befürchtete, ich könnte Amanda heiraten und sie würde dann einen Erben zur Welt bringen. Ich habe es ihr gesagt. Dass ich sie nicht heiraten konnte. Ich hatte Angst, es könnte ihr das Herz brechen, doch sie küsste mich nur auf die Wange und sagte, das spiele keine Rolle. Dass es einen anderen Mann gäbe, einen Mann, den sie liebte und den sie heiraten wollte. Du irrst dich, William, Amanda war nicht verliebt in mich.“
Sir William kräuselte die Lippen und griff nach dem Cognacschwenker. „Ich glaube, da bist eher du im Irrtum. Ich kann mir vorstellen, dass die junge Dame sehr stolz war.“
Stolz? War das der Grund für ihre Gelassenheit gewesen? Er hatte sie verletzt, aber sie war zu sehr Dame gewesen, um in Tränen auszubrechen oder ihm eine Ohrfeige zu geben oder ihn anzuschreien?
„Und dann, innerhalb von drei Tagen, war sie fort. Ebenso wie der Sohn des Verwalters. Hat er es getan? Oder sind seine Überreste woanders vergraben?“
Schmerzlich zog sich Dashs Herz zusammen. Er hatte geglaubt, er würde Amanda beschützen, indem er sie fortschickte. Danach war er in das Arbeitszimmer seines Onkels gegangen und hatte dem Schurken gesagt, er habe nicht die Absicht zu heiraten, in der Hoffnung, dadurch sei Amanda in Sicherheit.
Aber sie war in diesem Moment bereits verloren gewesen. Er hasste es, sich vorzustellen, was von ihr noch übrig war, nachdem sie zehn Jahre begraben gewesen war. All ihre Lebendigkeit, ihre Anmut – verloren. Etwas Wunderschönes hatte viel zu früh geendet.
Er schüttelte den Kopf. „Ich verstehe das nicht. Ich hatte nicht vor, sie zu heiraten. Es gab keinen
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