Samuel Carver 01 - Target
schlichte Geschöpfe.«
»Es sind auch viele Frauen auf diese Art reingelegt worden«, hielt Grantham ihr entgegen. »Es brauchte nur einen gutaussehenden Stasi-Agenten, der ›ich liebe dich‹ flüstert, und das halbe weibliche Personal der westdeutschen Regierung gab frohen Herzens Geheimnisse an den Osten weiter.«
Dame Agatha trank bedächtig ihren Tee. »Vermutlich haben Sie Recht. Die menschlichen Schwächen sind universell vertreten.«
»Das ist auch ganz gut so, denn sonst würden wir nie etwas herausfinden«, meinte Grantham. »Wie dem auch sei, diese Petrowa verschwand vor fünf, sechs Jahren von der Bildfläche. Sie lebt noch in Moskau, soweit wir wissen. Aber sie betreibt keine Spionage mehr und hat keine Vorstrafen.«
»Klingt so gar nicht nach einer Attentäterin«, sagte Dame Agatha.
»Entweder das oder sie ist eine besonders gute, weil sie bisher jede Aufmerksamkeit vermieden hat.«
»Scheint trotzdem unwahrscheinlich zu sein, nicht wahr? Eben geht sie noch mit ihren Zielpersonen ins Bett, dann bringt sie sie plötzlich um. Ich nehme an, dass beides dieselbe Distanz, dieselbe Gefühllosigkeit gegenüber dem anderen erfordert, aber die entsprechende Ausbildung wäre eine ganz andere. Was bringt Sie auf den Verdacht, dass sie daran beteiligt ist? Natürlich abgesehen von der Preisgabe ihres Namens.«
Grantham schlang die letzte Gabel voll Wurst, Pilzen und gebackenen Bohnen herunter. »Vor zwei Tagen haben wir Neuigkeiten von einem französischen Geheimdienstmitarbeiter erhalten, inoffiziell. Er behauptete zu wissen, wo die beiden zu finden sind, und wollte es uns für fünfhunderttausend Dollar verraten.«
Dame Agatha lachte. »Man muss die Franzosen bewundern. Das Ausmaß ihrer Skrupellosigkeit hat etwas Grandioses.«
»Ja, das fanden wir auch. Natürlich haben wir ihm gesagt, er kann uns mal. Dann haben wir das Telefongespräch zurückverfolgt und zwei Leute auf ihn angesetzt. Er war in Genf.«
»Aaah …«
»Nun, jedenfalls sind unsere Leute dem Franzosen gefolgt. Er traf sich mit einem Mann, der einen Aktenkoffer bei sich trug.«
»Mit fünfhunderttausend Dollar?«
»Das weiß ich nicht. Der Koffer wurde nicht geöffnet. Aber der Franzose muss geglaubt haben, dass das Geld darin ist, denn er ging mit dem Kontaktmann weg, was ein großer Fehler war. Sie stiegen in einen schwarzen BMW, der auf einen russischen Pelzimporteur in Mailand zugelassen ist. In dem Wagen saßen noch drei andere Männer. Sie fuhren zu einer Straße in der Altstadt. Dort wurde der Franzose umgebracht. Um es kurz zu machen: Die Russen lungerten bis zehn Uhr abends in dem Viertel herum; dann brach die Hölle los. Der erste Russe, der sich mit dem Franzosen getroffen hatte, entführte eine Frau aus einem Café und tötete dabei den Besitzer, einen Gast und unsere beiden Leute, die zur Beobachtung da waren.«
»Mein Gott …«, murmelte Dame Agatha.
»Ich weiß, ein totales Blutbad. Jedenfalls glauben wir, dass Petrowa die junge Frau ist, die entführt wurde. In der Zwischenzeit wurden die übrigen drei Russen weiter oben an der Straße in einem Pub zusammengeschlagen. Die Zeugen sagen, sie hörten den Mann, der die drei verprügelt hat, an der Theke sprechen. Er habe britisch geklungen.«
»Ist das unser Carver?«
»Das glauben wir.«
»Die Frau wurde also zu der Zeit entführt, als dieser Carver in seine Schlägerei verwickelt war. Das klingt, als wäre jemand hinter beiden her gewesen. Vielleicht eine Aufräumaktion.«
»Genau. Aber wie wurden diese Russen hineingezogen? Bisher ging jeder davon aus, dass der Anschlag in Paris von einer britischen Organisation geplant wurde. Ich kann die Verbindung zu Moskau nicht so ganz herstellen.«
»Wissen Sie etwas über den Entführer?«
»Ja. Er heißt Grigori Kursk. Die Moskauer Polizei kennt ihn gut. Er ist schon wegen zahlreicher Gewalttaten verhaftet worden; darunter waren auch zwei Morde. Aber er wurde nie verurteilt. Kursk hat mächtige Freunde.«
»Kursk entführt also Petrowa«, sagte Dame Agatha. »Seine Männer wollen sich Carver greifen. Aber Carver entkommt. Wohin geht er dann?«
»Wohin würden Sie gehen?«
Dame Agatha lächelte. »So weit weg wie möglich.«
»Das wäre naheliegend«, stimmte ihr Grantham zu, »aber betrachten Sie es einmal aus Carvers Blickwinkel. Er hat fast achtundvierzig Stunden in Begleitung einer Frau verbracht, deren einziges bekanntes Talent die Verführung ist. Es besteht die Möglichkeit, dass sie ihn ziemlich fest am
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