Samuel Carver 01 - Target
blinden Spurt, obwohl ihn alle Instinkte anschrien, langsam zu laufen.
Carver schätzte die Länge der Röhre auf etwa zwanzig Schritt. Dann war er an der Gabelung. Der andere Kerl würde dort entlangkommen. Carver lauschte. Er hörte langsame, vorsichtige Schritte – die Schritte eines Mannes, der seinen Gegner stellen will, ohne selbst zur Beute zu werden.
Carver sah nach links, wo ein schwacher Lichtkegel hin und her wanderte, weil der Mann dahinter nach ihm suchte. Carver wandte sich diesem Tunnel zu und gab drei schnelle Schüsse ab. Er rechnete nicht mit einem Treffer. Er wollte den Kerl bloß in Deckung scheuchen, und sei es auch nur für ein paar Sekunden.
Sein Plan könnte doch noch gelingen. Carver drehte sich um, griff zur Wand und rannte in die Dunkelheit.
Kursk war in der Offensive. Er hatte seinen Gegner zum Rückzug gezwungen und dessen wichtigste Waffe vernichtet. Ohne den Blender war die Pistole des Engländers keine große Bedrohung mehr. Jetzt musste Kursk seinen Vorteil nur noch in einen Sieg verwandeln. Er war keine fünf Schritte in dem Tunnel gegangen, der parallel zu dem verlief, in den der Engländer geflohen war, als er im Schein seiner Taschenlampe den Pistolenlauf schimmern sah.
Kursk warf sich auf den Boden. Drei Querschläger gingen über ihn hinweg. Kaum dass er lag, schaltete er die Taschenlampe aus, um sich unsichtbar zu machen.
Er hörte die sich entfernenden Schritte des Engländers, eilig, geradeaus. Kursk schaltete das Licht wieder ein und ging bis zum Ende des Tunnels. Er sah die Rohrleitung mit dem gestreiften Band an der Decke, aber dahinter nichts. Der Engländer musste irgendwo abgebogen sein.
Weiter vorn auf der rechten Seite war die Wölbung eines Tunneleingangs zu sehen, aus der Kursk strömendes Wasser rauschen hörte. Er rannte darauf zu, warf sich auf den Boden, anstatt vor der Öffnung anzuhalten, und rollte sich daran vorbei, während er in den Tunnel feuerte. Als er auf der anderen Seite anlangte, spritzten zwei Kugeln in die Seitenwand und deckten ihn mit Betonsplittern ein. Das beantwortete eine Frage. Der Engländer hatte ein neues Schlupfloch gefunden.
Als das Echo der Schüsse verklungen war, meinte Kursk durch das Wasserrauschen etwas zu hören: ein lautes Scharren. Dann gab es einen Aufprall und einen unterdrückten Fluch. Er musste sich das Lachen verkneifen. Der Blödmann war im Dunkeln gegen eine Wand gerannt.
Gut, mal sehen, wo er sich jetzt versteckte. Kursk stand auf; dann sprintete er an der Tunnelöffnung vorbei und hielt die feuernde Waffe hinein, sodass jemand, der auf die Taschenlampe zielte, ihn nicht treffen würde. Diesmal spähte er den Tunnel entlang, sah über dem Gitterboden Plakate und Schaukästen von der Decke hängen. Vielleicht glaubte der Engländer, er könne sich dahinter verbergen. Na, das würden sie ja sehen!
Kursk schaltete die Taschenlampe aus. Nirgends eine Spur Licht. Jetzt waren sie beide blind. Er legte sich flach auf den Boden und schob sich auf dem Bauch bis in die Mitte des Tunneleingangs. Dann kroch er zum Anfang des Metallgitters. Feuchtkalte, stinkende Luft schlug ihm entgegen, die von dem strömenden Abwasser aufstieg. Kursk tastete nach vorn und fühlte eines der senkrecht gespannten Drahtseile, an denen ein Schaukasten hing.
Langsam und leise rutschte er unter dem Kasten entlang zwischen den Drähten durch. Als er darunter hervorkam, hielt er inne und horchte, ob der Engländer ein Geräusch machte. Wo war der Kerl hin?
Kursk drehte den Kopf nach allen Seiten, um zu lauschen. Die Vorstellung machte ihn nervös, dass der Engländer ganz nah sein könnte. Vielleicht waren nur Zentimeter zwischen ihnen. Bei dieser Dunkelheit und dem Wasserrauschen würden sie es vielleicht gar nicht bemerken. Kursk zwang sich abzuwarten, geduldig zu sein. Entscheidend war, wer als Erster die Nerven verlor und seine Position verriet.
Es war der andere. Weiter vorn hörte er das kurze Scharren von Füßen. Kursk fasste seine Waffe beidhändig. Er zielte. Er wollte gerade den Hahn durchziehen, als ein weiß glühender Flammenball durch die Dunkelheit schoss, begleitet von einem ohrenbetäubenden Knall und einer Druckwelle. Sie riss Kursk hoch, schleuderte ihn gegen die Tunneldecke und warf ihn in einer Lawine aus Drahtfetzen und Splittern durch das gähnende Loch im Metallgitter des Bodens, sodass er in den Abwasserstrom fiel.
Grigori Kursk merkte noch nicht einmal mehr, wie er in der Pariser Kanalisation landete und
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