Samuel Carver 01 - Target
davongetragen wurde.
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Zwei kurze Quergänge führten von der Ausstellung in der Galerie Beigrand zur Galerie Bruneseau, die parallel zueinander verliefen. Carver hatte den Zeitzünder an seinen C4-Päckchen auf fünf Sekunden gestellt; dann rannte er einen dieser Quergänge hinunter, den Avaloir. Das Feuer der Explosion loderte durch den Gang hinter Carver her und versengte ihm den Rücken.
Er musste zurück zur Straße. Aber durch welchen Ausgang? Auf dem Motorrad hatten zwei gesessen. Einer war noch oben auf der Straße. Carver wollte ihn haben, wenn möglich lebend.
Er versuchte, sich in dessen Lage zu versetzen. Wo würde er sich hinstellen, wenn er da oben wartete? Das Klügste wäre, sich einen Platz zu suchen, von wo aus man beide Ausgänge sehen konnte. Unter dieser Voraussetzung war es egal, wo er herauskam. Das Risiko wäre gleich groß.
Und es gab noch einen Faktor zu bedenken: Das Gelände um das Kartenhäuschen herum war für Hinterhalte geradezu paradisisch. Überall gab es Deckung, aber keine Fußgänger, die beobachten würden, was passierte. Wenn Carvers Orientierungssinn richtig funktionierte, lag der andere Ausgang am Südende der Alma-Brücke. Dort war das Gelände freier, und es gab viel mehr Verkehr und Fußgänger.
Da würde er es versuchen.
Carver brauchte einige Minuten, um durch die pechschwarze Dunkelheit zu der künstlichen Höhle mit der Riesenkugel zurückzufinden. Endlich sah er einen Lichtschimmer. Erleichtert rannte er darauf zu und durch die rote Tür. Fast wäre er die Treppe hinaufgestürmt, zwang sich aber stehenzubleiben.
Langsam schob sich Carver bis an den Treppenschacht, um nach oben zu spähen, und hielt die Pistole aufwärts, bereit, auf die geringste Bewegung zu schießen. Über ihm befand sich ein Gitter. Ein Vorhängeschloss oder eine Kette waren nicht zu sehen. Carver stieg die Wendeltreppe hinauf und machte alle paar Schritte Halt, um auf verdächtige Geräusche zu lauschen.
Die Stufen endeten an einem kleinen Treppenabsatz, der ein Stück unterhalb der Straße lag. Carver schob sich bäuchlings darauf, um unter dem Rand des Ausstiegs zu bleiben, und hielt sich so nah wie möglich an der Seite. Er setzte die Hände neben die Schultern, die linke flach, die rechte um den Pistolengriff, stemmte sich hoch, beugte den Oberkörper nach vorn und zog die Beine unter den Leib, sodass er die Knie an der Brust hatte.
Dann stieß er sich nach vorn ab und sprang so flach wie möglich aus dem Einstiegsloch, sodass er der Länge nach auf dem Gehweg aufkam. Sofort rollte er sich auf die Seite und brachte die Pistole beidhändig in Anschlag. Mit erhobenem Kopf zielte er an den ausgestreckten Armen und dem Lauf entlang.
Er sah niemanden. Nur zwei Wagen, die die Brücke überquerten. Er hörte keine Schüsse, keinen Einschlag schallgedämpfter Kugeln in den Asphalt.
Carver war um 270 Grad auf die rechte Schulter gerollt, als er mit den Beinen gegen etwas Hartes stieß. Er verzog das Gesicht beim Aufprall blanken Metalls auf seine Fußknöchel. Carver drehte den Kopf und sah, dass er neben der Ducati des Toten lag. Der Helm hing am Lenker. Es war das Anlasserpedal, das ihm den durchdringenden Schmerz beschert hatte.
Mit dem Rücken gegen das Motorrad gelehnt, richtete Carver sich ein Stück auf und ließ seinen Blick über die Umgebung schweifen. Noch immer kein Hinweis auf einen Feind. Er sah auf sein Fußgelenk und beugte es. Der Fuß ließ sich ohne Schwierigkeiten drehen; also waren Knochen und Sehnen unverletzt, seine Bewegungsfähigkeit unbeeinträchtigt. Am Morgen würde er zweifellos einen hässlichen Bluterguss haben; aber wenn er dann noch am Leben war, hätte er keinen Grund, sich zu beschweren.
Während Carver auf dem Gehsteig saß, gingen zwei junge Pariser Arm in Arm an ihm vorbei. Carver versuchte, entspannt zu erscheinen, so als wäre es völlig normal, sich mit verstaubter und angesengter Kleidung halb liegend an ein Motorrad zu lehnen. Die Mühe hätte er sich sparen können. Die Verliebten waren viel zu sehr damit beschäftigt, einander sehnsüchtig in die Augen zu blicken, als dass sie sich um andere gekümmert hätten.
Mit den beiden als Deckung stand Carver auf und ging hinter ihnen her, als sie am Ende der Brücke die Straßenseite wechselten und auf die Uferstraße und den Kiosk am Eingang zur Kanalisation zu schlenderten. Seine Honda stand noch am selben Platz. Er näherte sich und hielt die Pistole dicht am Hosenbein, während er weiter hinter dem
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