Samuel Carver 01 - Target
Zeit vom Radar verschwand. Das lag an seiner obsessiven Sorge um die Sicherheit, die Geheimhaltung und das eigene Überleben. Aber es sah ihm nicht ähnlich, einfach so zu verschwinden, bevor die Operation abgeschlossen war. Der OV drückte wieder die Kurzwahltaste, und erneut meldete sich niemand.
Er wandte sich Papin zu. »Was haben die Ärzte zuletzt bekannt gegeben?«
Der Franzose nahm einen langen Zug von seiner Zigarette. »Die obere linke Lungenvene der Herzkammer ist eingerissen. Das hat der armen Frau das Blut in die Brust gepumpt.« Papin sah den OV an. »Das war keine saubere Sache. Die Prinzessin wird es nicht überleben, aber eine Kugel wäre gnädiger gewesen.«
»Ja, gewiss, doch diese Option stand nicht zur Verfügung, nicht wahr? Was wollen Sie wegen der Autopsie unternehmen?«
»Der Pathologe wartet draußen, zusammen mit den anderen Aasgeiern.«
»Und das Formaldehyd?«
»Es wird in den Körper gepumpt, sofort nach der Autopsie. Aber warum ist das für Sie so wichtig?«
»Das wird bei einer nachträglichen Schwangerschaftsuntersuchung ein falsches positives Ergebnis liefern.«
»Also wird die Welt glauben, dass sie schwanger war?«
»Die Welt wird es nie sicher wissen.«
Papin runzelte die Stirn. »Dann verraten Sie mir, warum sie gestorben ist?«
Der OV lächelte, antwortete aber nicht darauf. »Entschuldigen Sie mich für einen Moment.«
Er drehte sich weg und wählte noch einmal Max’ Nummer. Noch immer keine Antwort. Was zum Teufel ging da vor?
14
Zu dieser Morgenstunde war es nicht möglich, Paris zu verlassen. Züge fuhren nicht, und Carver hatte nicht die Absicht, sich in die Nähe eines Flughafens zu begeben. Man konnte kein Auto mieten. Natürlich hätte er leicht eins stehlen können, aber bei seiner Arbeit beging er nicht gern kleine Delikte. Al Capone hatten sie wegen einer Steuerhinterziehung drangekriegt. Carver wollte nicht durch ein frisiertes Auto auffliegen.
Also saßen sie fest. Sie durften nicht riskieren, in einem Hotel einzuchecken, nicht einmal unter falschem Namen. Sie mussten für ein paar Stunden irgendwohin, in eine Kneipe, die bis zum Morgen geöffnet hatte und wo sie anonym bleiben konnten. Carver glaubte nicht, dass die schwer zu finden sein würde, nicht an einem Samstagabend.
Sie gingen die Haupttreppe hinunter – Carver hob seine Sig Sauer auf –, dann hinten hinaus durch einen symmetrisch angelegten Garten und zu einer kleinen Pforte in der rückwärtigen Mauer, wo Aliks ihre Tasche zurückgelassen hatte. Carver trug den Laptop. Sie gingen zur Rue de Rivoli. Unterwegs warf Carver sein altes T-Shirt und die Jacke in eine Mülltonne. Seine Bewegungen waren methodisch und ohne Hast. Nichts an seinem Benehmen verriet, was er während der Nacht durchgemacht hatte. Dann blieb er unvermittelt stehen.
Er stand vor einem Elektrogeschäft. Da waren ein halbes Dutzend Fernseher im Schaufenster, die alle auf dasselbe Programm geschaltet waren. Ein Nachrichtenreporter stand mitten auf einer Straße und sprach in die Kamera, wenn auch stumm, da bei den Geräten hinter der Scheibe der Ton abgestellt war. Er stand vor einer Polizeikette umgeben von einem Schwarm anderer Journalisten mit Fotoapparaten und Fernsehkameras. Der Reporter trat ein wenig zur Seite, sodass der Kameramann an ihm vorbeisehen konnte.
»Warten Sie mal kurz«, sagte Carver und streckte die Hand aus, um Aliks aufzuhalten.
Sechs Bilder des Almatunnels füllten das Schaufenster. Die Kamera zoomte in die Unterführung, wo ein Notarztwagen neben dem Wrack des schwarzen Mercedes stand.
Neben ihm betrachtete Aliks dieselben Bilder mit verständnislosem Gesicht, auf dem sich allmählich Entsetzen abzeichnete, als ihr die Bedeutung klar wurde. »Gütiger Gott, ist das der Wagen? Der Wagen, den wir …?«
»Ja. Das habe ich herbeigeführt, nachdem Sie und Kursk ihn in meine Richtung getrieben haben. Aber was macht der da?«
»Wen meinen Sie?«
»Den Notarztwagen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das einer überlebt hat. Aber wenn doch, dann müsste er längst im Krankenhaus sein. Ich meine, das ist jetzt«, er sah auf die Uhr, »eine Stunde her. Warum halten sie sich da noch auf?«
»Eine Stunde?«, murmelte Aliks halb zu sich selbst. »Mehr nicht?«
Die Bilder hatten gewechselt. Man hatte ins Studio zurückgeschaltet. Eine Nachrichtensprecherin saß hinter ihrem Schreibtisch, und ein Foto der Prinzessin von Wales war eingeblendet. Die Sprecherin sagte ein paar Worte, dann sah man die
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