Samuel Carver 01 - Target
eine ironische Geste von Mann zu Mann: Sie Glückspilz. Leclerc gab ihm einen freundlichen Klaps auf den Arm und zehn Francs Trinkgeld, bevor er das Glas zu seinem Tisch trug.
Aliks hätte es ungern zugegeben, aber sie hatte Spaß bei der Sache. Sie hatte die Blicke gespürt, die ihr durchs Foyer gefolgt waren – die Begierde des Hotelpagen und des Empfangschefs, den Neid der unscheinbaren, die Anerkennung der hübscheren Rezeptionistin. Beim Betreten der Bar hatte sie sich das Schmunzeln verkneifen müssen, als ihr der komische Krach zwischen dem älteren Ehepaar auffiel. Dann sah sie den Banker, der sich Mühe gab, sie nicht wie ein sechzehnjähriger Bengel anzuglotzen, und wusste gleich, dass es einfach werden würde.
Von da an ging sie nach Lehrbuch vor: lächeln, Augenkontakt, die Gesten, die das männliche Interesse weckten und zugleich das Signal der Verfügbarkeit gaben, die Tricks beim Plaudern, jeden Satz in eine Frage münden zu lassen und den Mann um seine Meinung zu bitten. Man konnte jeden Aufreißer fragen: Wenn der andere erst einmal anfing ja zu sagen, war er bereits auf dem Weg ins Schlafzimmer.
Aliks war versucht auszuprobieren, ob ihr Zauber auch ohne chemische Hilfsmittel wirken würde, aber Leclerc zu verführen war nur Mittel zu einem anderen Zweck. Es ging darum, ihn zum Reden zu bringen. Darum griff sie in die Handtasche, als er zur Bar ging, und nahm Zigaretten und Feuerzeug heraus. Wer sie beobachtete, würde das sehen, aber nicht die kleine Kapsel in der hohlen Hand und auch nicht, dass sie sie aufbrach und den Inhalt in Leclercs Glas schüttete, als sie über den Tisch griff und mit seiner Olive an dem schwarzen Plastikpicker herumspielte.
Das Pulver setzte sich auf der Oberfläche des Martinis ab, verschwand aber nach kurzem Umrühren. Leclerc kehrte an den Tisch zurück, um eine schuldbewusste Aliks vorzufinden, die sagte: »Ups! Jetzt haben Sie mich erwischt! Ich wollte Ihnen schon die Olive mopsen. Verzeihen Sie. Ich kann einfach nicht widerstehen!«
Er schenkte ihr sein nettestes Lächeln. »Nun, hier haben Sie eine ganz für sich allein.«
Aliks nahm die Olive aus dem Glas, das Leclerc vor sie hinstellte, und steckte sie zwischen die glänzenden roten Lippen. »Hmmm, köstlich!«, sagte sie und leckte sich neckisch über die Oberlippe. Sie ermahnte sich, die Albernheiten sein zu lassen. Wenn sie es zu offensichtlich trieb, würde Leclerc womöglich misstrauisch werden. Es wurde Zeit, sich wieder etwas anständiger zu benehmen.
Sie blickte ihn mit großen Augen an wie eine aufmerksame Schülerin zu Füßen ihres Lieblingslehrers. »Die Schweizer Banken haben mich schon immer fasziniert. Sie wirken so mächtig und mysteriös. Sie müssen mir alles über Ihre Arbeit erzählen. Ich würde zu gerne etwas darüber hören.«
Der Mann hinter der Theke war Marcel. Er servierte seit über dreißig Jahren seine Drinks und sah dabei zu, was sich entwickelte, wenn Männer, Frauen und Alkohol aufeinandertrafen. Was die Kunst der Verführung anging, hielt er sich für einen Kenner. Und sein Interesse war sofort geweckt gewesen, kaum dass diese Frau sein Reich betreten und dem Mann in der Ecke entgegengelächelt hatte.
Er war ziemlich sicher, dass hier ein Schwindel ablief und der Mann das Ziel war. Nach dem zweiten Martini war sie diskret zu Mineralwasser übergegangen, er dagegen war beim Alkohol geblieben. Marcel grinste in sich hinein und freute sich auf einen unterhaltsamen Abend.
Die Bar begann sich zu füllen. Eine Gruppe von Geschäftsleuten war hereingekommen, von denen jeder einen prüfenden Blick auf die Brünette warf, um dann die Kollegen einfältig anzugrinsen und sich einen Drink zu bestellen. Kurz darauf kam ein exzentrischer Mensch hereingeschlendert und setzte sich auf einen Barhocker an der blank polierten Theke. Er war knapp zwei Meter groß, mit einer geflickten Jeans und einem düsteren gelb-violetten T-Shirt bekleidet. Er hatte Haare wie ein Farbiger, nur dass sie rötlich-blond und seine Augen blau waren.
Marcel seufzte traurig und beklagte im Stillen den allgemeinen Niveauverlust. Heutzutage war es unmöglich, einen Habenichts von einem Millionär zu unterscheiden. Ein Mann in schäbigen Jeans konnte genauso gut ein Rockstar, ein Schauspieler oder ein Großkapitalist der amerikanischen Computerindustrie sein. Vielleicht war er auch der Hippie-Sohn einer reichen Familie. Als der Mann ein Heineken bestellte, gab er die Nummer einer Junior-Suite an. Seine Uhr war
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