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Samuel Koch - Zwei Leben

Samuel Koch - Zwei Leben

Titel: Samuel Koch - Zwei Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Fasel
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Grund zum Sturz, sondern es wirken mehrere Faktoren zusammen.“
60 Millisekunden
    Gert Peter Brüggemann ist Professor für Biomechanik an der Kölner Sporthochschule. Er untersuchte im Auftrag des ZDF und mit Billigung meiner Eltern den Unfallhergang und stellte fest: „Es muss die Situation des Absprungs als Ursache des Fehlverhaltens herangezogen werden.“
    Nach seinen Untersuchungen stellte sich der Unfall folgendermaßen dar: Während der Drehung meines Saltos bin ich mit dem Kopf für etwa 60 Millisekunden ans Autodach gestoßen. 60 Tausendstelsekunden! Das ist rund eine Zehntelsekunde, ein Wimpernschlag. Doch das reicht aus. Denn die Kraft, die nach den Berechnungen des Sportmediziners bei dieser minimalen Berührung auf mein Genick eingewirkt hat, beträgt 450 Newtonmeter. Das ist die 4,5-fache Belastung, mit der ein Monteur die Radmutter eines Autos festschraubt. „450 Newtonmeter kann kein Wirbelgelenk wegstecken“, sagt Brüggemann.
    Er attestiert mir, ich sei sofort beim Aufprall bewusstlos gewesen und unkontrolliert weitergeflogen. Das Dumme dabei: Die Bodenmatte, auf der ich aufprallte, hatte ich ja extra rutschfest gewählt. Deshalb konnte aber mein Helm nach dem Aufprall ebenfalls nicht gleiten und so die Energie aus dem Sturz ableiten. So entstanden die schweren Verletzungen des ersten und letzten Halswirbels. Allerdings: Einen Schädelbruch hatte der Helm immerhin verhindert. So weit die Wissenschaft.
    â€žBei aller jugendlichen Begeisterung, die Samuel für seine Wette zeigte, kam er mir immer auch sehr besonnen und intelligent vor!“, sagte Gottschalk in einem Interview zehn Tage nach dem Unfall über mich. „Wenn ich je den Eindruck gehabt hätte, hier ist jemand, der nicht weiß, was er tut, und nicht kann, was er will, dann hätte ich eingegriffen. Aber die gesamte Truppe einschließlich seines Vaters war bestens vorbereitet!“ Und auf die Frage, ob er sich mit meinem Vater über das Risiko der Wette ausgetauscht habe, antwortete Thomas: „Wir waren uns einig: Lieber unterstützen wir auch die absurden Ideen unserer Kinder und begleiten sie dabei, als uns wegen solchen Diskussionen mit ihnen zu zerstreiten!“
    Mein Vater schrieb einige Zeit später in seiner Zusammenfassung: „In der Natur eines Sturzes liegt es, dass immer mehrere Komponenten zusammenspielen. Ich sehe bei niemandem eine persönliche Verantwortung!“
Keine Schuldfrage
    Wenn ich auf die Vorgänge zurückblicke, ist mir klar: Es gibt keine individuelle Schuld, keinen bestimmten Umstand, der mich auf den Wagen prallen ließ, der von meinem Vater gesteuert wurde.
    Wie kam es dazu, dass ich zu flach sprang? Auch wenn ich noch so sehr in meiner Erinnerung krame – viel weiß ich nicht mehr von dem Sturz und den Sekunden davor. Erstens musste ich mich auf meine Sprünge konzentrieren und zweitens verursachte der Schlag auf den Kopf wohl einige bewusstlose Momente.
    Alles gesehen haben aber meine Eltern, meine Geschwister, meine Freunde, die zur Unterstützung angereist waren. Meine Mutter, die in der zweiten Reihe im Publikum saß. Mein Vater, der den Audi steuerte. Meine jüngeren Geschwister Rebecca und Jonathan, die neben meiner Mutter saßen und Schilder schwenkten. Meine Schwester Elisabeth, die als Au pair-Mädchen in Oslo war und vor dem Fernseher ihrer Gasteltern der Wette entgegenfieberte. Thomas Gottschalk und Michelle Hunziker, die neben meiner Sprungbahn standen. Bei dem, was nun geschah, bin ich auf ihre Aussagen angewiesen.
    Mein Vater war am dichtesten dran. Er nahm den Absprung noch wahr. Dann: „Ein Knall, als Samuels Kopf die Dachkante berührte. Ein Poltern, als sein regungsloser Körper auf dem Boden aufschlug. Ich bin vielleicht noch zehn Meter gefahren“, erinnert sich mein Vater. „Dann habe ich angehalten und gewusst: Es ist etwas Schreckliches passiert.“
    Mein Vater handelte wie in Trance. Er brauchte ein paar Sekunden, um sich zu besinnen. Dann stieg er aus dem Wagen und ging langsam auf die Menschentraube zu, die sich um mich gebildet hatte – Ersthelfer, Ärzte, Sanitäter, Menschen aus dem ZDF-Team, mit denen ich vor einer halben Stunde noch hinter der Bühne gewitzelt hatte.
    â€žIch konnte das Entsetzen in der Halle körperlich spüren. Es mischte sich mit meinem eigenen“, erzählt mein Vater.
    Was er nicht bemerkte, war, was auf den Rängen

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