Samuel Koch - Zwei Leben
geschah: Menschen schlugen sich die Hände vor den Mund. Starrten mit aufgerissenen Augen auf die Bühne. Fielen sich in die Arme oder gar in Ohnmacht. Begannen zu schluchzen.
Alles kam meinem Vater in diesem Augenblick vor wie aus Watte â seine Bewegungen, die Bilder, die auf ihn einströmten, die Erinnerungen. âIch habe mich zu Samuel hingekniet und gesehen, dass er aus der Nase blutete. Nur ganz wenig. Sonst hatte er keine sichtbaren Verletzungen. Er war wach. Ãffnete die Augen. Sah mich an und sagte zu mir: âPapa, ich will wieder laufen können!ââ
Er weià heute nicht mehr, was er mir darauf geantwortet hat.
Jemand fasste meinen Vater bei der Schulter, deutete auf meine Mutter, die etwas abseits stand und schluchzte. Er möge sich um sie kümmern, für mich wären die Ãrzte da. âIch bin zu Marion gegangen, habe sie umarmt, doch ich konnte sie nicht beruhigenâ, erinnert sich mein Vater. âDaraufhin bin ich wieder zu Samuel geeilt, der immer noch am Boden lag, mittlerweile mit einer Halskrause versehen.â
Ãrzte und Sanitäter bereiteten mich für den Transport vor. Mein Vater suchte wieder nach meiner Mutter, konnte sie erst nicht finden. âIch habe kein Wort mehr herausbekommenâ, sagt er. âWildfremde Leute wollten sich um mich kümmern, redeten auf mich ein. Was sie zu mir sagten, weià ich nicht mehr.â
Meine Mutter und mein Vater wurden von Ãrzten betreut und aus der Halle geführt. Sie wollten ihnen etwas zur Beruhigung geben, doch beide lehnten ab: âIch brauche einen klaren Kopf, kein Beruhigungsmittelâ, sagte meine Mutter.
Mein Vater wollte zurück zu mir und ging in Richtung Halle. âDa habe ich verhaltenes Klatschen gehört und war zuerst irritiertâ, erinnert er sich. Als er in die Halle zurückkam, erfuhr er den Grund für diesen Applaus: Thomas Gottschalk hatte die Sendung wegen des Unfalls abgebrochen. Zum ersten Mal in 30 Jahren âWetten, dass..?â
Meine Schwester Elisabeth saà in Oslo vor dem Fernseher, als es passierte. âIch bin aufgesprungen, habe aufgeschrien, als ich den Aufprall sahâ, erzählt sie. âDann bin ich in Tränen ausgebrochen. Ich wusste doch nicht, was mit dir los war!â
Die Handys sämtlicher Familienmitglieder waren überlastet. Erst nach zwei Stunden erreichte Elisabeth endlich meine Eltern, die ihr erzählten, wie es mir mittlerweile ging. Ihre Gasteltern buchten ihr noch in derselben Nacht einen Flug zurück nach Deutschland. Am nächsten Tag stand sie an meinem Bett in der Intensivstation der Düsseldorfer Unfallklinik.
Meine Mutter erlebte den Unfall als Zuschauerin in der Halle. Sie hatte ein Schild in der Hand mit meinem Namen darauf. Zusammen mit meinen beiden jüngeren Geschwistern und meinen Freunden feuerte sie mich an und zitterte bei jedem Sprung.
âIch habe die ganze Zeit nach dem Aufprall nur gebetet und gefleht: âBitte, Gott, mach, dass er am Leben bleibt! Bitte mach, dass er nicht tot ist!â â, erzählt sie. âAls Samuel auf dem Boden aufprallte, hörte ich diesen dumpfen Knall. Dann lag er regungslos da. Da wusste ich es schon: Er hat sich das Genick gebrochen. Ich betete und stammelte immer wieder: âBitte, bitte, mach, dass er am Leben bleibt!ââ
Diesmal ist es ernst
Ich habe schon viele Stürze erlebt und einige Unfälle glimpflich überstanden. Etwa, als mein Roller mit einem Auto kollidierte und ich 15 Meter weit über die StraÃe flog. Oder beim Snowboarden, als ich mich eines Tages bei einer Schussfahrt über eine Klippe verirrte und in die Tiefe stürzte, von Schnee und Tannenzweigen erst kurz vor dem Aufprall auf einem Felsen gnädig gebremst.
Böse erwischte es mich 2007 beim Training in einer Turnhalle in Frankreich. Ein Flugteil am Barren brach ich ab und landete statt wie üblich mit dem Rücken auf der Matte auf dem Hinterkopf. Dabei schaffte ich es noch, mir mein eigenes Knie vors Auge zu hauen. Mit einem vermeintlichen Veilchen dachte ich: Schnell wieder rauf auf den Barren, bevor du zu viel Respekt vor dem Teil bekommst.
Noch bevor ich das Teil wiederholen konnte, lief mir Blut aus der Nase. Wieder brach ich ab, um diese zu säubern. Beim Versuch zu schnäuzen jedoch entwich die Luft statt durch die Nase durch die Augenhöhle. Blut sprühte aus meinem Auge, es quoll hervor und fiel beinahe aus der
Weitere Kostenlose Bücher