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Samuel Koch - Zwei Leben

Samuel Koch - Zwei Leben

Titel: Samuel Koch - Zwei Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Fasel
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Turner, der Chaot, der Sportler, der, dem alles gelingt, was er anpackt, sondern ich bin reduziert auf den Menschen, den der Unfall von mir übrig gelassen hat.
    Ich kann diese Frage nicht abschließend beantworten. Einerseits wird mir langsam immer klarer, dass mein Leben nicht vorbei ist, auch wenn ich mich nicht mehr rühren kann. Schon früh und auch schon vor dem Unfall war mir klar: Meine Bewegungsfähigkeit ist nicht das, was mich im Innersten ausmacht, kann nicht das sein, was meinen Wert bestimmt. Wertbestimmend sind mit Sicherheit mein Charakter, mein Wille, mein Kopf, mein Herz, meine Gefühle, und die sind bei mir meistens noch voll da. Die kann ich nach wie vor benutzen oder sie mich.
    Aber zwischen der theoretischen Erkenntnis und dem, was sie dann tatsächlich bedeutet, klafft eine gewaltige Lücke, die vor allem für mich schwer zu überbrücken ist.
    Denn trotz dieses Wissens vergeht kein Tag, an dem ich Gott nicht um Heilung, um Verbesserung meiner Lage bitte. Ich möchte wieder laufen können, meine Hände bewegen; über einen funktionierenden Finger wäre ich schon froh.
    Vielleicht verändern sich meine Prioritäten und meine Wünsche im Laufe der Zeit noch weiter. Aber noch bin ich nicht so weit, den Istzustand als absolut zu akzeptieren. Und das ist vielleicht auch gut so.
Abfinden, annehmen, aufgeben?
    Abfinden kann und will ich mich nicht mit meinem Zustand. Auch wenn einem das die Psychologen in den Reha-Kliniken gern nahelegen. Sie halten das für wichtig, damit man als Gelähmter die veränderte Lebenssituation annehmen kann. Na klar, es hilft nichts, so zu tun, als wäre es anders – ich lebe ja jeden Tag damit, dass es so ist, wie es ist, und ich mache das Beste daraus. Aber das kann es für mich auf Dauer noch nicht gewesen sein!
    Sich mit dem Status quo abzufinden und sich daran zu gewöhnen klingt für mich nach Aufgeben, und an diesem Punkt bin ich noch lange nicht.
    Es bedeutet einen täglichen Kampf, sich nicht hängen zu lassen, nicht im Bett zu verschimmeln und nur noch auf das zu warten, was mit mir gemacht wird. So passiv will ich den Rest meines Lebens nicht weiterführen .
    Aber parallel dazu beginnt auch eine weitere Sichtweise in mir zu wachsen. Irgendwann habe ich gesagt: „Mein Körper ist futsch und ich kann damit im Moment nichts mehr anfangen. Deshalb gebe ich ihn ab: Hier, Gott, hast du meinen Körper, meinen Geist – ich habe keinen Plan mehr. Aber du hoffentlich schon. Mach damit, was du willst, und am liebsten sofort.“
    Kurz: „Dein Wille geschehe.“
    Das klingt erst einmal so ruckzuck dahergesagt – aber es war ein langer Kampf, bis ich diesen Schritt innerlich tun konnte, meinen Körper und mit ihm fast alle meine bisherigen Pläne, Wünsche und Hoffnungen für mein Leben loszulassen. Und mit einem Mal ist das auch nicht erledigt. Ich muss es immer wieder neu tun.
    In der Praxis ist das unglaublich schwer umzusetzen. Wenn man sich von einem geliebten Menschen trennen muss, fällt das wahnsinnig schwer, weil es einem schier das Herz zerschneidet. Auch wenn es um zwei Arme und zwei Beine geht, wird das Loslassen zur echten Herausforderung.
    In der Welt schrieb ein Journalist: Von Anfang an beeindruckt Samuels ebenso intelligente wie tapfere Gefasstheit, zu der auch jene Heiterkeit gehört, die nicht mit Spaß und Lustigkeit zu verwechseln ist. Eher zählt sie zur Gattung einer fast schon schmerzhaft nüchternen Selbst- und Weltbetrachtung, die gerade aus der realistischen Lagebeurteilung einen starken Rest an Zuversicht schöpft. (...) Wir ziehen den Hut vor dem Mann und bitten um ein handfestes Wunder.
    Kann sein, dass es nach außen so wirkt, was nicht heißt, dass es immer so ist. Und selbst wenn, dann ist es ein langer Prozess, der noch längst nicht abgeschlossen ist.
    Mit der Bitte um ein Wunder kann ich mich aber umso mehr identifizieren. Jeden Tag kämpfe ich von Neuem hart um meine innere Haltung. Ich bin ein lebender Widerspruch. Ja, ich leide massiv unter meinen Einschränkungen und könnte manchmal aus der Haut fahren deswegen – aber andererseits denke ich mir, wenn ich nun mal im Moment auf dieser Insel gestrandet bin, kann ich ja auch ein bisschen Spaß dabei haben und für mich und die Leute um mich herum das Beste daraus machen.
    Die Fähigkeit zu lachen, vor allem über sich selbst, und auch mal in unerwarteten

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