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Samuel Koch - Zwei Leben

Samuel Koch - Zwei Leben

Titel: Samuel Koch - Zwei Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Fasel
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Lebensform zu konfrontieren, war Stille, der ich mich immer wieder bewusst aussetzte. Die Schmerzen. Die langen Nächte. Das viele Grübeln und Nachdenken. Ich konnte ja nicht weglaufen und mich nicht von meinen Gedanken ablenken.
    Ich starrte an die Decke und fühlte etwas Komisches unter mir, das mein Körper sein sollte. Seitlich sah ich die beiden Hörner des Fixateurs aus meinem Kopf ragen. Da waren die sich stets wiederholenden Ankündigungen der Ärzte: „Du steckst noch im spinalen Schock, warten wir mal zwei Wochen, vier Wochen, acht Wochen, drei Monate ...“
    Ich wartete und hoffte. Aber als einige Monate vergangen waren, ohne dass irgendetwas Signifikantes geschehen war, merkte ich: „Hier läuft etwas nicht so, wie ich es mir erhofft habe.“
    Da begannen meine Diskussionen mit Gott. Langsam dämmerte mir, wie es wirklich um mich stand und dass ich aus dieser Nummer eventuell nicht glimpflich rauskommen würde. Von da an begann sich mein Gebetstenor zu verändern. Ich flehte zwar weiterhin um Linderung der Schmerzen, um eine Besserung, um Heilung oder irgend so etwas.
    Aber mit der Zeit sickerten immer mehr Einsichten in mein Denken. Irgendwann wurde mir bewusst, dass ich mein ganzes Herzblut in meine Wiederherstellung steckte: „Ich denke an nichts anderes mehr. Tagein, tagaus bitte ich nur darum, geheilt zu werden, statt offen zu sein und mich auf andere gedankliche Wege einzulassen.“
    Eines Morgens machte mich der Bibeltext der Tageslosung hellhörig. Die sogenannten „Herrnhuter Losungen“ bestehen aus kurzen Bibeltexten des Alten und des Neuen Testamentes. Seit 1731 wird durch Auslosen jeweils ein Text für jeden Tag ausgesucht. Die Losungen werden weltweit von Christen aller Konfessionen gelesen. Jeden Tag zum Frühstück habe ich mir diese Tageslosung vorlesen lassen, und eines Tages kam der Vers: „Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz“ (Matthäus 6, 21). Ich verstehe das so: Das, womit man die meiste Zeit verbringt und in das man das meiste Herzblut investiert, worum die Gedanken am häufigsten oder intensivsten kreisen, darüber definiert man sich. Das ist der „Schatz“, das Wichtigste im Leben, um das alles kreist.
    Eine richtige kleine Glühlampe ging über meinem Kopf an. Was machte ich da eigentlich? War meine körperliche Wiederherstellung das wichtigste und einzige Thema für mich? Und sollte das vielleicht nicht so sein? Verfolgte Gott vielleicht einen anderen Plan, und wenn ja, wie sah der aus?
    Wenn ich so über mein bisheriges Leben nachdachte, hatte vieles besser funktioniert als erwartet. Mich hatten immer wieder Leute gefragt: „Wie kommt es eigentlich, dass du so viel Glück hast und dir so vieles gelingt?“ Tatsächlich war mir alles Mögliche zugefallen, und anderes hatte weitaus besser geklappt, als ich je zu hoffen gewagt hatte. Doch es war wohl eher so, dass Gottes Pläne immer ein bisschen besser gewesen waren als meine eigenen. Konnte das auch jetzt noch so sein, in dieser Extremsituation?
    Ich begann meine Lage genauer zu analysieren und mich zu fragen, was mir das alles sagen sollte.
    Ich glaube nicht, dass es Zufälle gibt. Und deshalb glaube ich auch nicht, dass dieser Unfall einfach so passiert ist, weil so etwas nun mal passiert.
    Früher bin ich oft wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass Gott auf mich aufpasst und mir schon nichts Schlimmes passieren würde. Inzwischen ist mir klar geworden, dass die Sache so nicht läuft. Jeden Tag geschehen Leuten schlimme Sachen. Jeden Tag gibt es allein in Deutschland 5 neue Querschnittgelähmte, und Gott verhindert das nicht. Vielleicht verfolgt er damit sogar ein bestimmtes Ziel; vielleicht stimmt es auch, was in der Bibel steht: „Denen, die Gott lieben, müssen alle Dinge zum Besten dienen.“ (Römer 8,28). Das verstehe ich so, dass Gott auch aus schlechten Ereignissen letztlich etwas Gutes machen kann.
    Wie das in meinem Fall aussehen soll, weiß ich allerdings nicht. Ich bin immer noch mit Gott darüber im Gespräch und habe noch keine richtig zu Ende gedachten Antworten auf die Frage nach dem „Warum?“, oder besser: „Wozu?“

Ein Freund und Mitarbeiter der Klinik in Nottwil:
Als ich zu Samuel auf die Intensivstation kam, hat er gesagt: „Guten Tag, bitte erzählen Sie mir doch was aus Ihrem Leben!“ So etwas habe ich noch nie bei einem

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