Samuel Koch - Zwei Leben
Patienten erlebt.
Von Anfang an spürte ich bei ihm ein Geheimnis. Er hat etwas ganz auÃergewöhnlich Sanftes, Edles an sich, in seinen Augen ist enorm viel Licht und Wärme, sehr viel Charme und Respekt und stets eine starke Anteilnahme am Gegenüber. Ich habe einen Sohn, der Autist ist. Von ihm habe ich nur am Rande erzählt. Was mich sehr berührt hat: Samuel war immer daran interessiert, wie es meinem Sohn geht. Er hat stark an meinen Sorgen teilgenommen und mir oft Kraft gegeben.
Samuel war auf erfrischende Weise nicht einzuordnen und er war bei aller Höflichkeit auch irgendwie nicht folgsam. Seine innere Autonomie ist bewundernswert. Diese innere Unabhängigkeit hilft ihm â auch wenn er massiv vom Schicksal in die Knie gezwungen wurde.
Er weiÃ, dass er getragen ist von etwas, das gröÃer ist als er selbst. Er ist begründet in einem Selbstbewusstsein, das weiÃ, dass man sich nicht begründen muss. Es ist eine gewisse Aura von Zuversicht und Gelassenheit um ihn. Das erklärt, warum man sich nach einem Besuch bei ihm eher stärker fühlt als vorher.
Samuel hat hart damit gerungen, sein Schicksal anzunehmen. Das war auch mit einem leisen Empören verbunden, warum gerade ihn das getroffen hat. Ich habe mich bemüht, ihm zu vermitteln, dass auch der Zorn ein wichtiger Teil des Verarbeitungsprozesses ist. Dass man sich nicht überall unterwerfen und in alles einwilligen muss â die Kraft dazu ist in ihm immer weiter gewachsen. Die Frage: âWarum ist mir das geschehen?â hat ihn stark beschäftigt. Denn es geht dabei ja um existenzielle Dimensionen. Denen hat sich Samuel gestellt.
Er hatte das Leben bislang von der Sonnenseite erlebt und es mit groÃer Kraft durchschritten. Nun war Unfassbares geschehen. Durch den Unfall wurde alles, was vorher war, enorm relativiert. Auch mit der verlorenen Hoffnung musste er umgehen lernen. Was für ihn etwas ganz Neues war: Er war erstmals konfrontiert mit den Abgründen des Lebens. Dunkelheit, Verlassenheit, Sinnlosigkeit, Mächte des Bösen. Er musste sich auf einen ganz neuen Weg machen. Wir versuchten, dem Unfassbaren eine Form, eine Kontur zu geben. Er war immer bemüht, diese Seiten Schritt für Schritt in sein neues Leben zu integrieren. Und er hat dabei nie aufgegeben. Diese Themen werden ihn begleiten, und er wird sie bewältigen. Wie er das tut, ist einfach faszinierend!
Der Gott der Bewegung
Früher bin ich schon fast durchgedreht, wenn ich mal wenige Tage ohne Bewegung auskommen musste. Wenn ich nicht trainieren konnte, zum Beispiel auf Klassenfahrt, im Bundeswehr-Biwak oder wenn die Arbeit es nicht zulieÃ, fühlte ich mich wie ein Löwe im Käfig. Das Mindeste, das ich dann tat, war improvisiertes Training, zur Not auf dem Boden neben meinem Bett in der Jugendherberge: Winkelstütz, Stützwaagen, Handstandakrobatik, Spannungsübungen und viele Dehnübungen. Das war das Minimalprogramm, das ich brauchte, um nach bewegungsarmen Tagen keinen Koller zu bekommen. Bewegung war meine Medizin für alles. Wenn ein Tag mal mies lief, stellte ich mich abends eben in der Turnhalle aufs Trampolin, und schon war der Abend gerettet.
Schon früher musste ich mich daher manchmal fragen: Samuel, sei ehrlich, ist dir Sport das Wichtigste? Steht die Bewegung, das Turnen in deinem Leben an erster Stelle? Bist du vielleicht sportsüchtig?
War Bewegung mein Lebenssinn, so wie das bei anderen ein Auto oder eine schöne Frau ist, die aber von einem auf den anderen Tag weg sein können? Was bleibt dann vom Leben?
Habe ich mich zu stark durch meinen Sport definiert? Oder bin ich vielleicht auch vor manchen Dingen weggeturnt, habe mich Sinnfragen durch Sport und Bewegung entzogen oder sie durch ständige Aktivitäten verdrängt?
Ich habe lange und viel darüber nachgedacht und mir die Frage gestellt: Könnte ich ohne Sport leben, und was wäre dann? Wer bin ich dann?
Noch vor dem Unfall habe ich mich mit mir selbst und Gott geeinigt: Nein, ich brauche den Sport nicht zum Leben, aber er ist eine Leidenschaft, die mir mit auf den Weg gegeben worden ist. Für eine Sache Leidenschaft zu empfinden ist etwas Gutes, und Begabungen und Talente verantwortungsvoll weiterzuentwickeln und sinnvoll einzusetzen ebenfalls. Das wollte ich mit meinem Sport tun.
Diese Frage, was mich definiert, bekam nach dem Unfall eine ganz neue Brisanz. Denn nun bin ich nicht mehr Samuel, der
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