Samuel Koch - Zwei Leben
bewegend, sie hier zu sehen. Hände, die sich mir unsicher entgegenstrecken, fragende Gesichter, Ausrufe: âSamuel! Ãa va?â Viele umarmen mich. Die Mädchen wollen mich zur BegrüÃung auf die Wange küssen, wie es in Frankreich üblich ist, doch sie kommen nicht richtig an mich ran, der Rollstuhl ist im Weg.
Dieser Besuch ist traurig und fröhlich und anstrengend zugleich. Denn ich will natürlich wissen, was aus allen geworden ist. Neue Trainer, neue Gesichter, die mich ebenfalls herzlich begrüÃen.
Gergö, den es genau wie mich beim Anblick des riesigen Trampolins juckt, kann es nicht lassen: âIch gehe kurz âne Runde hüpfen, okay?â Ich nicke ihm nur zu. Die meisten meiner Freunde und auch meine Geschwister hatten anfangs Hemmungen, mir von irgendwelchen sportlichen Aktivitäten, die sie erlebten, zu erzählen. Doch obwohl das auch wehtut, fände ich es eine Verschwendung, wenn sie ihre funktionierenden Körper nicht nutzen würden.
Als ich aus der Halle herausrolle, spüre ich den Riss zwischen meinen zwei Leben als klaffende Wunde. Vorbei, verweht, nie wieder.
Exkursionen und Katastrophen
Wenn ich einen Pullover oder eine Jacke brauche, packen Chris und Daniela mich in den Wagen, und ab gehtâs. Mit dem Parken sind wir ja privilegiert â endlich mal ein Vorteil. Das Einkaufen selbst läuft etwas anders als früher. Die Hose sieht gut aus. Aber sie an- und auszuprobieren würde mindestens eine halbe Stunde dauern. Ratlosigkeit bei der Verkäuferin. Chris grinst, schnappt sich die Hose in einer Nummer gröÃer, als ich sie kaufen würde, und verschwindet in der Umkleidekabine. Minuten später tritt er heraus und führt mir als Model die Hose vor: âNa, wie gefällt sie dir?â
âIst genehmigtâ, antworte ich. Einpacken, bezahlen, fertig. So macht Einkaufen auf sechs Rädern SpaÃ.
So komisch es klingt, ungefährlich ist mein Leben trotz meiner Lähmung nicht geworden. Das Problem ist, dass ich eine Art elektrischer Reiter bin. Ich reite ein Ross mit Rädern, das von Motoren angetrieben wird und mir durch viele Schalter ermöglicht, da hinzukommen, wo ich hinwill. Meistens jedenfalls. Dass ich es nicht immer schaffe, liegt daran, dass mein Arm, mit dem ich den Joystick steuere, mir noch nicht ganz gehorcht. Er macht sich manchmal selbstständig, und das kann unschön enden. Mittlerweile gibt es eine ganze Reihe Rodeo-Erfahrungen, die mir klarmachen, dass man sich auf zwei Beinen manchmal sicherer fortbewegen kann als auf sechs Rädern.
Das erste Erlebnis dieser Art hatte ich bei einem der ersten selbst gesteuerten Ausflüge mit dem Rollstuhl auf die Dachterrasse der Klinik in Nottwil. Hinauf ging es mit dem Aufzug.
Der Rollstuhl war so eingestellt, dass er losfuhr, sobald ich meine Schultern entspannte, und anhielt, wenn ich die Schulter nach oben zog. Die fünf Stockwerke bis zum Dach zogen sich gefühlt endlos hin, und ich konnte die Anspannung der Schulter kaum noch halten. Endlich gingen die Türen auf und ich konnte mich entspannen. Der Rollstuhl sauste los. Leider hatte ich nicht mit der Treppe gerechnet, die wenige Meter vom Fahrstuhl entfernt 20 Stufen nach unten führte. Und die Kraft für einen Bremsvorgang gaben meine Muskeln nicht mehr her.
Papa hechtete los, holte mich ein und brachte mich kurz vor dem Treppenabsatz zum Stehen.
Mit einer ganz besonderen Unfallnummer habe ich mit geringem Aufwand einen lang anhaltenden Unterhaltungseffekt erzielt. Das war ebenfalls am Anfang meiner Rollstuhl-Fahrschulzeit. Neben meinem Zimmer in der Klinik befand sich der Aufenthaltsraum für Besucher. GroÃ, hell, mit tollem Blick auf See und Berge und ausgestattet mit vier groÃen Tischen, an denen über 20 Menschen Platz finden können. Ich hatte Besuch von meinem GroÃvater und einigen Freuden. Ein groÃer Kreis, der auch mit Essen und Trinken versorgt werden wollte.
Wie immer in solchen Fällen half das Schnellrestaurant im Erdgeschoss der Klinik weiter. Wir bestellten munter drauflos: Pizza, Chicken-Nuggets und Spaghetti, dazu Salat in allen Variationen. Dazu Cola, Fanta, Wasser und Saft. Kaffee lieferte der Automat im Aufenthaltsraum. Das Essen kam pünktlich, die vier Tische wurden in der Mitte des Raums zusammengeschoben, ein paar schöne Decken aufgelegt, das Geschirr rausgeholt, ein BlumenstrauÃ, fertig.
Zu dieser Zeit hatte ich noch
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