Samuel Koch - Zwei Leben
Samuels Unfall bei mir an. Die Zeit verging immer langsamer. Und auf einmal stand sie still. Eingefroren. Alles war wie vereist. Auf dem Boden der Halle lag der junge Mann, der mich ein Jahr später bitten sollte, dieses Nachwort für sein Buch zu schreiben. Und ich komme dieser Bitte sehr gerne nach.
Ich liebe das Leben. Ich gehe Menschen, Dingen und Situationen eher mit freudiger Erwartung als mit Skepsis oder Angst entgegen. Für mich ist das sprichwörtliche Glas nie halbleer, sondern immer halbvoll. Doch es ist wahr: Die ganze Geschichte mit Samuel hat mich ziemlich mitgenommen. Sie hat mich nachdenklich gemacht. Die Folge ist, dass ich das Leben jetzt noch mehr liebe. Denn Samuel ist ein Mensch, dessen positive Energie einfach unglaublich ansteckend ist. Wer sein Buch gelesen hat, weià das.
Ich selbst hatte das Glück, Samuel persönlich zu begegnen. Und dabei habe ich erleben dürfen, dass er ein Mensch ist, dessen Gläser nicht nur halbvoll, sondern bis zum Rand gefüllt sind. Trotz alledem: Es stimmt schon, Samuel kann seinen Körper nicht mehr so bewegen wie vor dem Unfall. Aber er bewegt so ungeheuer viel in den Menschen, die ihm begegnen. Ob als Leser dieses Buches oder vis-à -vis.
Als ich Samuel im Sommer 2011 in einem Reha-Zentrum in der Schweiz zum ersten Mal besuchen konnte, hatte ich schon ein bisschen das Gefühl, befangen zu sein. Die eingefrorenen Bilder aus Düsseldorf tauchten wieder auf. Aber Samuel sorgte dafür, dass sie wieder auftauten. An ihre Stelle traten nun neue Bilder: Wenn ich heute an ihn denke, dann sehe ich vor allem diesen Sommertag am Sursee vor mir. Er trug ein leuchtendgrünes T-Shirt, lag in seinem Bett und lächelte mich an. Und nicht nur mich, alle, die im Zimmer waren, lächelte er an. Samuel lächelte die ganze Welt an. Unvergesslich.
Er strahlte einfach eine ungeheure Lebensfreude aus. Wir haben viel gelacht, wir haben viel erzählt, und auf einmal merkte ich wieder: Es gibt Momente im Leben, in denen die Zeit überhaupt nicht stillsteht, sondern rast. Weil das, was man gerade erlebt, so kurzweilig ist, so spannend, so unterhaltsam, so wahnsinnig freundlich, menschlich und schön.
Samuel erzählte, dass die Leute, die ihn besuchen, oft sehr befangen sind. Manche weinen sogar. âDann habe ich das Gefühl, ich muss mich um diese Leute kümmernâ, sagte er. Das tut er dann auch. Und tatsächlich schafft er es immer, den Menschen ihre Befangenheit zu nehmen. Durch seine pure Freude am Leben, durch die unheimliche Kraft, die in ihm steckt. Und die Hoffnung hat er sowieso nie aufgegeben.
Der Nachmittag bei Samuel hat mich sehr beeindruckt und mir wieder klargemacht, was wirklich wichtig ist im Leben. Von ihm konnte sogar ein hoffnungsloser Optimist wie ich noch viel lernen. Und leider waren die Stunden bei ihm viel zu schnell vorbei.
Ich kenne jede Menge Leute, denen es richtig gut geht und die trotzdem glauben, dass sie alle Hoffnung verloren haben. Auch die können von Samuel sehr viel lernen. Ist es der Zusammenhalt in der Familie? Ist es sein Glaube? Samuel Koch, dessen schicksalhaften Moment Millionen von fassungslosen Fernsehzuschauern erlebten, erinnert uns heute daran, wie wertvoll das Leben ist, wie schön und einzigartig jeder Tag sein kann â und wie die Hoffnung einen Menschen durch dieses Leben tragen kann.
Es wird sehr anstrengend, sehr lang und mühsam, aber Samuel wird diesen Weg bewältigen. Ich wünsche ihm von ganzem Herzen, dass er das Leben leben darf, das er leben will.
Michelle Hunziker
Milano, Februar 2012
Samuel bei den Arbeiten an diesem Buch. Am Beamer verfolgt er, wie das, was er sagt, umgesetzt wird.
Autoren
Samuel Koch
Schon früh galt seine Begeisterung dem Sport. Bereits mit 6 Jahren begann er als Kunstturner und turnte 17 Jahre lang bei unzähligen Wettkämpfen in der deutschen wie französischen Liga. Nach dem Abitur studierte er Schauspiel zunächst in Hamburg, später an der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover. Während dieser Zeiten jobbte er als Kleinunternehmer u. a. als freier Akrobat. Nach seinem Unfall wurde er im Schweizer Paraplegiker-Zentrum in Nottwil rehabilitiert. Im Frühjahr 2012 will Samuel Koch sein Studium fortsetzen.
Christoph Fasel
Studium in Paris und München, u. a. Germanistik, Geschichte, Philosophie, M.A. phil., Absolvent der Henri-Nannen-Schule unter Wolf Schneider, Journalist u. a. bei
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