Samuel und die Liebe zu den kleinen Dingen
Naturheilmittel von mir verlangt, weiß ich auch, wo ich nachlesen muss. Ich bin vermutlich so eine Art Arrangeur.«
Für einen Moment war ich ziemlich sprachlos. Ich hatte nicht gewusst, dass es so einen Beruf gibt. Bisher hatte ich mir vorgestellt, dass Bücher von Leuten verfasst werden, die sich in der jeweiligen Materie auskennen.
»Und darf man fragen, was Sie derzeit arrangieren?«, erkundigte ich mich.
Der Alte warf mir ein schiefes Lächeln zu: »Ein schwieriger Auftrag, weil ich in dem Fall nicht nur Bücher durchforsten, sondern auch mündliche Zeugnisse zusammentragen muss. Vielleicht haben Sie Lust, einen Beitrag zu liefern.«
»Worum geht es denn?«
»Das Buch heißt: Gönn dir eine Pause . Es geht um Berichte von Menschen, die einen magischen Augenblick erlebt haben, so eine Art Satori. Sie wissen schon, wenn die Zeit stillzustehen scheint.«
»Ich glaube, da werde ich Ihnen nicht behilflich sein können«, antwortete ich. »Ich kann mich nicht erinnern, je so einen Augenblick gehabt zu haben. Mein Leben ist nicht sehr aufregend, wissen Sie. Es sei denn, ein Satori kann auch beim Tortillawenden erlangt werden.«
»Schade«, sagte er. »Vielleicht können Sie mir dann auf andere Art helfen. Da Sie nun schon einmal zu mir heraufgekommen sind, mit Katze und allem, und Sie sich offenbar schwer wieder losreißen können, haben Sie sicher nichts dagegen.«
Seine Bitte überraschte mich. Der Alte hatte recht. Was zum Teufel schwatzte ich hier mit einem Fremden, von dem ich nicht einmal wusste, wie er hieß? Der Höflichkeit halber antwortete ich nur: »Aber sicher.«
Der Redakteur trommelte mit den Händen auf den Tisch, um seine Begeisterung zu verdeutlichen, und drehte sich dann mit seinem Stuhl zu der Eisenbahn hin. Während er sich an dem Spielzeug zu schaffen machte, sagte er: »Übrigens, ich heiße Titus. Der Name ist etwas auffällig, deshalb erscheinen meine Bücher unter einem Pseudonym.«
Er schüttelte mir die Hand, während ich verwundert zusah, wie der Alte behutsam ein Stück Schiene – es war ein Kurvenstück – löste und es mir lächelnd in die Hand drückte.
»Irgendwie hat sich dieses Stück verbogen, und jetzt entgleisen die Züge in der Kurve immer.«
»Und was kann ich da tun?«, fragte ich, verwirrt das Stück Schiene in meiner Hand betrachtend.
»Mir fällt seit einigen Tagen das Laufen sehr schwer. Vielleicht ist es Rheuma, von dem kalten Wetter, wer weiß. Jedenfalls ist der Modellbau-Laden im Zentrum – gar nicht weit für einen jungen Menschen wie Sie.«
Innerlich stieß ich einen Fluch aus, weil ich ihm blindlings einen Gefallen zugesagt hatte. Mein Fieber stieg schubweise an, und nun würde ich durch die halbe Stadt fahren müssen, um ein Stück Spielzeugschiene zu besorgen.
»Sind Sie nicht ein bisschen alt, um mit der Eisenbahn zu spielen?«, platzte ich heraus.
Ich hatte befürchtet, die Bemerkung würde ihn verletzen, aber der Mann schien jetzt rundum glücklich undzufrieden. Umständlich erhob er sich und tätschelte mir den Rücken.
»Der Eisenbahn zuzuschauen entspannt mich enorm. Wenn man nachdenkt, ist es gut einen Punkt zu haben, auf den man sich konzentrieren kann.«
Ich steckte das Schienenstück in die Tasche. Ehe ich mich zur Tür wandte, erkundigte ich mich noch: »Wie heißt die Katze denn nun eigentlich?«
Während unseres ganzen Gesprächs hatte sie sich nicht von ihrem Platz unter dem Tisch fortbewegt, wo sie nun friedlich zusammengerollt schlief.
»Was weiß ich! Fragen Sie sie doch selber. Ich habe Ihnen ja gesagt, es ist nicht meine. Aber ich passe auf sie auf, solange Sie die Schiene besorgen gehen.«
GABRIELA
Mit einem äußerst flauen Gefühl trat ich auf die Straße. Erst ging ich kurz in die Apotheke und versuchte dann vergeblich, ein Taxi zu bekommen. Doch alle schienen besetzt, wahrscheinlich von Leuten, die ins Zentrum hetzten, um ihr Weihnachtsgeld auszugeben. Die Kreditkarten qualmen, dachte ich. Und ich hole mir wegen eines Stückchens Schiene noch den Tod.
Zitternd und voller Zorn auf meinen Nachbarn schleppte ich mich bis zur Bushaltestelle an der Carrer Balmes, einer der Hauptverkehrsadern, die ins Zentrum führen. Die 16 oder die 17 würde mich bis zur Ecke Pelai bringen, genau vor den Laden.
Doch zwanzig Minuten lang kam außer ein paar mörderischer Windböen nichts an der Bushaltestelle an. Dann bemerkte ich ein Schild, das die Fahrgäste über einen Streik der Busfahrer informierte.
Mein Schicksal verfluchend
Weitere Kostenlose Bücher