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Samuel und die Liebe zu den kleinen Dingen

Titel: Samuel und die Liebe zu den kleinen Dingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesc Miralles
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abgeben sollen.«
    Dann dachte ich, es wäre keine schlechte Idee, dem Alten einen Besuch abzustatten, bevor ich zu meiner Schwester ging. Bestimmt würde er sich freuen. Beim Rausgehen warf ich einen letzten Blick auf den Zettel und steckte ihn ein.

DER KOSMISCHE SPIELAUTOMAT
    Titus hörte mir aufmerksam zu und hielt das Blatt Papier, das ich ihm überreicht hatte, unschlüssig in der Hand, als wüsste er nicht recht, was er damit anfangen sollte. Als ich fertig war, schwieg er einen Moment nachdenklich.
    Während ich ungeduldig auf seine Meinung wartete, stellte ich fest, dass der alte Mann schlechter aussah als beim letzten Mal. Ich erinnerte mich vage daran, wie ich ihm seine Schiene übergeben hatte und die Katze mir wieder in meine Wohnung gefolgt war. Dann hatte mich das Fieber niedergestreckt.
    Dem gelblichen Ton seiner Haut nach zu urteilen war Titus auch schon einmal gesünder gewesen. In seinen dunkelgrauen Bademantel gewickelt sah er aus wie ein verängstigtes Tier, das auf den Gnadenschuss wartet. Gerade als ich das Schweigen mit einer Frage unterbrechen wollte, bekam ich doch noch eine Antwort.
    »Ich werde dein Satori in das Buch aufnehmen.«
    »Finden Sie es sehr dumm?«, erkundigte ich mich.
    »Gar nicht.«
    Zwar hatte er angefangen, mich zu duzen, aber er zeigte sich äußerst wortkarg. Das bestärkte mich in meinemVerdacht, dass es ihm nicht gut ging. Ich hätte gehen und ihn in Ruhe lassen sollen, doch etwas an ihm forderte mich heraus, weitere Erklärungen abzugeben.
    »Was ich sagen will, ist, nachdem ich sie auf der Straße gesehen habe, kann ich nicht einfach tatenlos dasitzen. Ich weiß, es ist idiotisch, aber ich glaube, ich muss etwas tun.«
    »Dann mach das doch.«
    »Das Problem ist, ich weiß nichts über sie außer ihren Vornamen. Wo soll ich denn anfangen? Und selbst wenn ich sie finde, was soll ich ihr sagen? Wird sie nicht denken, ich sei völlig übergeschnappt? Ich brauche eine gute Ausrede.«
    »An Ausreden mangelt es dir ja wohl kaum. Hör auf, so herumzueiern, und schreite endlich zur Tat!«
    Seine Worte weckten meinen Ehrgeiz.
    »Glauben Sie, ich soll sie finden? Ist das die Botschaft?«
    »Natürlich. Das ist deine Mission.«
    »Aber wer hat mir diese Mission übertragen? Der Zu fall? Das Schicksal?«
    »Oder der Schatten Gottes, nenn es, wie du willst.«
    »Ich kann nicht glauben, dass das nur Zufall gewesen sein soll. Als ich Gabriela begegnet bin, wusste ich, dass ich mich in diesem Moment nur ihretwegen auf dieser Straßenkreuzung befand. Daran war nichts Zufälliges.«
    Titus trommelte mit den Fingern auf dem Schreibtisch.
    »Wenn er sich allzu kapriziös gebärdet, können wir den Zufall in unserem ganz normalen Alltag nicht akzeptieren. Wenn es um das Universum oder um die Entstehung des Lebens geht, haben wir keinerlei Problememit ihm, obwohl die Verbindung von Elementen, von der dabei alles abhängt, eine noch viel unberechenbarere Angelegenheit ist.«
    »Worauf wollen Sie hinaus?«
    »Die Wahrscheinlichkeit, dass Leben entsteht, ist etwa so groß wie die, an einem Spielautomaten den Jackpot zu knacken. Wir sind hier, weil ein einziges Mal die eine Kombination zustande gekommen ist, die funktionierte. Findest du das nicht erstaunlich? Aber vor allem: Wer hat die Münze eingeworfen, um zu spielen? Das ist das große Rätsel. Der Urknall an sich ist vollkommen belanglos, das Wichtige ist nämlich nicht, was geschehen ist, sondern wer oder was da geklickt und damit die Ereignisse ins Rollen gebracht hat.«
    »Sie glauben also, es gibt eine unsichtbare Hand, die alles lenkt?«
    »Das wäre wohl ein bisschen einfach«, antwortete Titus und lächelte zum ersten Mal. »Ich glaube, es war C. G. Jung, der sagte, dass wir alle durch unsichtbare Fäden miteinander verbunden sind. Wenn man an einem dieser Fäden zieht, bewegt sich das ganze Gefüge. Darum hat jede noch so kleine Handlung Auswirkungen auf den Zustand der gesamten Welt. Dafür braucht es keinen Gott.«
    »Aber das beantwortet nicht die Frage, warum Gabriela in dem Moment an dieser Ampel stand, und noch weniger hilft es mir bei der Frage, was ich jetzt tun soll.«
    »Denk an den kosmischen Spielautomaten. Allein unsere Existenz ist ein Mysterium. Ein großes Rätsel, das ist alles.«

VERTRAU AUFS GEGENTEIL
    Mein Gespräch mit Titus, der irgendwie seltsam abwesend gewirkt hatte, war nicht unbedingt hilfreich gewesen, um die Situation zu klären. Zwar trieb er mich an, etwas zu tun, sagte mir aber nicht, was und

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