Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Samuel und die Liebe zu den kleinen Dingen

Titel: Samuel und die Liebe zu den kleinen Dingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesc Miralles
Vom Netzwerk:
› Gabriela › Titus (Untersuchung) › Café › Valdemar › Mendelssohn › Gabriela ...
    Wie gesagt: eine sehr bevölkerte Einsamkeit und ziemlich musikalisch obendrein. Wohin mich dieser Weg wohl noch führen würde? Und was hatte der Mond mit alldem zu tun?
    Es schien eine direkte Verbindung zwischen meiner Öffnung gegenüber der Außenwelt – Mishima, Titus und Valdemar, nicht eingerechnet meine Schwester und ihren Mann – und dem dreifachen Auftauchen Gabrielas zu bestehen. War sie die Belohnung für diese für meine Verhältnisse ganz und gar ungewohnte Aufmerksamkeit gegenüber Fremden?
    Vielleicht sind nur die der Liebe würdig, die verschwenderisch und großherzig lieben, die nicht den einen verweigern, was sie den anderen geben, dachte ich.
    Dieser Gedanke brachte mich auf einen Aphorismus von Siddharta Gautama, den ich vor dem Einschlafen gelesen hatte; das kleine Büchlein war mir zu einer liebenGutenachtlektüre geworden. Ich ging es holen, um noch einmal nachzulesen.
    Es erklang bereits das zweite Gondellied , als ich die Antwort auf einige meiner Fragen fand:
     
    Tausende von Kerzen können sich an einer einzigen Kerze entzünden,
    und das Leben der Kerze wird darum nicht kürzer sein.
    Das Glück wird niemals geringer, weil man es teilt.

TRAKTAT ÜBER KATZENPHILOSOPHIE
    Nachdem ich den Samstag meinen Träumereien und meinen universitären Pflichten – der Vorbereitung des gesamten Wochenprogramms – gewidmet hatte, machte sich am Sonntag das schlechte Gewissen wegen Titus’ Buch bemerkbar.
    Seit ich den Auftrag übernommen hatte, waren kaum zehn Seiten zustande gekommen: die kleine Werther -Passage, ein paar Buddha-Aphorismen, der Abschnitt über die Liebe im Kleinen ... Zweifelsohne musste ich den Lehrgang in Alltagsmagie nun endlich voranbringen.
    Ich warf einen Blick auf Mishima, die sich auf dem Sofa langweilte. Bevor mich also die übliche Sonntagnachmittagsdepression überkommen konnte, stapfte ich hoch zu Titus’ Arbeitszimmer, um mich dem Kapitel »Katzenphilosophie« zu stellen.
    Während Mishima und ich die Wohnung des alten Redakteurs betraten, wurde mir klar, dass diese kleine Katze und ich ein richtiges Team geworden waren. Zusammen würden wir diese Herausforderung bewältigen.
    Ich schaltete den Laptop ein und begann Material zusammenzustellen. Titus hatte in seiner Bibliothek mehrere Nachschlagewerke über Katzen, und eins davon kammir wie gerufen: ein amerikanisches Buch mit dem Titel 10 Spiritual Lessons You Can Learn from Your Cat . Die Autorin Joanna Sandsmark schilderte im Vorwort, wie ihre Katzen sie gelehrt hatten, zu springen, ohne sich wehzutun, und zu schnurren, wenn sie glücklich war. Nicht schlecht für den Anfang, aber es musste noch etwas ganz anderes her.
    Einer plötzlichen Inspiration folgend, fing ich an zu schreiben, ohne Mishima aus den Augen zu lassen.
     
    I. SPIRITUALITÄT
    Katzen sind Meister der Meditation und Experten in der Kunst des Yoga. Eine Katze kann stundenlang völlig regungslos verharren und sich auf eine Reise in ihr inneres Zentrum begeben, um sich dann plötzlich mit einem Satz in die Außenwelt zu katapultieren und sofort mit all ihren Sinnen präsent zu sein. Ihre Lebenskraft zieht sie aus der Ruhe, sie verschwendet keine Energie auf Zwischenzustände. Entweder sie ist in Bewegung, oder sie ruht. Ist sie in Bewegung, gibt sie alles. Und sie ruht, als würde sie sich nie wieder erheben. Sie verliert keine Zeit mit unschlüssiger Zauderei.
     
    II. GEFÜHLSLEBEN
    Es heißt, Katzen seien Egoisten, dabei sind sie in Wirklichkeit einfach nur klug. Sie bemühen sich nicht um den Menschen, denn sie wissen, dass der Mensch sich um sie bemüht. In ihrer scheinbaren Gleichgültigkeit liegt ihre Kraft. Sie ziehen es vor, sich umsorgen zu lassen, statt das Risiko einzugehen, selbst ihre Gefühle zu offenbaren. Als gute Taoisten, die sie sind, handeln sie, ohne zu handeln und herrschen, ohne zu herrschen. Sie beschränken sich darauf, ihre Würde zu wahren und in ihrem Verhalten ganz ihrer Launezu folgen. Sie betteln nicht um Zuneigung, weshalb sie ihnen ganz von allein zuteil wird. Hunde haben Herren; Katzen haben Diener.
     
    III. SINNESLEBEN
    Eine Katze im Haus hält uns zu beständiger Aufmerksamkeit an. Katzen schärfen ihre Sinne, wachen über ihre Umgebung und registrieren jede kleinste Veränderung. Ihre stille Wachsamkeit ist voller aktiver Geduld. Bei ihrer scheinbaren Gelassenheit handelt es sich in Wirklichkeit um Konzentration.

Weitere Kostenlose Bücher