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Samuel und die Liebe zu den kleinen Dingen

Titel: Samuel und die Liebe zu den kleinen Dingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesc Miralles
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trotzdem gab es jede Menge Leute, die – alleine – draußen saßen und zu Mittag aßen.
    Ich fand es immer schon exhibitionistisch, sich alleine auf eine Caféterrasse zu setzen. Auch wenn man vorgibt zu lesen oder mit geschlossenen Augen das Gesicht in die Sonne hält, geht es in Wirklichkeit doch immer nur darum, gesehen zu werden. Die Leute sitzen auf dem Präsentierteller und warten darauf, dass jemand ihre Einzigartigkeit entdeckt, das, was sie – so ihr Irrglaube – von allen anderen Menschen unterscheidet.
    Letztlich wollen sie doch eigentlich nur neue Kontakte knüpfen. Wer wirklich alleine sein will, bleibt zu Hause.
    Ich fand einen freien Tisch an einer der Säulen und beeilte mich, die adäquate Pose einzunehmen: Mannwartet auf das Eintreffen seiner Liebsten, erstes Date. Es ist nicht ganz leicht, in so einem Zustand unverkrampft zu wirken. Also bestellte ich einen Kaffee und schaute in den Himmel. Gerade waren zwei Schäfchenwolken miteinander zu einem großen weißen Schnurrbart verschmolzen.
    So saß ich eine ganze Weile da. Als ich aus meiner kleinen Träumerei erwachte, sah ich auf meiner Uhr, dass es mittlerweile fast halb drei war.
    Sieht so aus, als würde sie nicht mehr kommen, sagte ich mir, bemüht darum, meine Fassung zu wahren.
    Ich fühlte, wie sich langsam Panik in mir breitmachte. Es stand ziemlich viel auf dem Spiel. Eine Welt ohne Gabriela, oder zumindest ohne die Möglichkeit von Gabriela, wollte ich nicht akzeptieren. Wenn sie nicht kam, würde sich die Tür endgültig schließen und mich damit zurück in meinen schützenden Panzer sperren, aus dem ich so mühsam ausgebrochen war.
    Ich wollte mich schon meiner Verzweiflung hingeben, als ich sie auf den Platz treten sah. Ein paar Sekunden lang konnte ich ihren Gang bewundern, der so sanft und anmutig war, als würde sie über den Boden schweben. Ihre Hüften wiegten sich unter einem grünen Wollkleid, das sich perfekt an ihren Körper schmiegte. Ehe sie an meinem Tisch ankam, blies ihr der Wind eine Strähne ins Gesicht. Lässig strich sie sich mit der Hand durchs Haar: »Entschuldige, dass ich dich habe warten lassen.«
    Sie setzte sich auf den Stuhl mir gegenüber. Natürlich hätte sie sich auch neben mich setzen können, doch ich nahm an, dass ihr das zu vertraut vorgekommen wäre.
    »Oh, kein Problem. Ich habe mir gerade die Wolken angeschaut.«
    Was für ein lahmer Einstieg, schalt ich mich. Aber nun musste ich wohl oder übel weiterreden, um nicht als kompletter Idiot dazustehen.
    »Während ich hier auf dich gewartet habe, waren da zwei längliche Wolken, die zusammengestoßen sind, und für einen Augenblick sah es so aus, als hätte der Himmel einen Schnurrbart.«
    Gabriela sah mich an, als hätte sie noch nie etwas derart Idiotisches gehört. Dann tat sie einen tiefen Atemzug und setzte eine ernste Miene auf.
    »Was willst du von mir? Ich weiß nicht mal, wer du bist.«
    Ich schwieg. Eigentlich hatte ich ihr erst möglichst viele Geschichten erzählen wollen, ehe ich – sollte ich überhaupt dazu imstande sein – über meine Gefühle sprach. Nun war das Tribunal vorzeitig eröffnet worden, ohne dass ich mir zuvor meine Argumente hätte zurechtlegen können.
    »Na ja«, sagte ich, bemüht, möglichst sachlich zu klingen, »ich habe ein Kinderfoto von dir gefunden und es dir geschenkt. Und du hast mich dann zum Kaffee eingeladen. Deswegen sind wir hier, oder?«
    »Das weiß ich auch. Aber warum hast du mir das Foto überhaupt gebracht? Deine Schwester und ich waren zufällig im selben Ballettkurs – aber was hat das mit dir zu tun? In jedem Fotoalbum gibt es Hunderte von Unbekannten. Deswegen geht man doch noch lange nicht los und versucht, diese Leute ausfindig zu machen.«
    Verdammt, dachte ich, sie wird es mir nicht leicht machen. Meine einzige Rettung sah ich darin, den akademischen Dauerquassler in mir zu bemühen, um zu verhindern,dass Gabriela aufstand und ging. Denn dann wäre alles verloren.
    »Ich werde es dir erklären, wenn du mir ein paar Mi nuten zuhörst. Wir haben uns kennengelernt, da waren wir sechs oder sieben Jahre alt. Damals ist etwas Besonderes zwischen uns geschehen, und auch wenn du dich vielleicht nicht daran erinnerst, hat dieses Ereignis dafür gesorgt, dass sich das Mädchen auf dem Foto bis heute in mein Gedächtnis eingebrannt hat. Dann sind wir uns neulich an der Ampel begegnet, und ich habe dich sofort erkannt. Es war seltsam, nach fast dreißig Jahren mitten auf einer Kreuzung jemanden

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