Samuel und die Liebe zu den kleinen Dingen
kein Licht. Besser wir lassen es dunkel.«
Dann zündete er sich, ohne zu fragen, eine Zigarette an. Es war das erste Mal, dass ich ihn rauchen sah.
Ich holte einen Aschenbecher aus der Küche. Der Mond war von den Wolken verdeckt, und alles in eine sonderbare Stille gehüllt, als sei die Zeit eingefroren und würde erst auftauen, wenn Valdemar mit der Sprache herausrückte.
Ich reichte ihm den Aschenbecher und nahm ihm gegen über im Sessel Platz. Wie wir da in dem finsteren Raum saßen, fand ich, dass es etwas Beunruhigendes hatte, mit jemandem zu sprechen, dem man nicht ins Gesicht sehen konnte. Er hatte nicht einmal den Hut abgenommen; ich konnte nur seine Silhouette erkennen. Valdemar nahm einen tiefen Zug und für einen Augenblick war sein Gesicht vom Licht der Glut erhellt. Dann sagte er: »Ich will ehrlich zu dir sein, Samuel. Ich bin ziemlich knapp bei Kasse.«
Das fängt ja gut an, dachte ich.
»Ich hatte eine Wohnung«, fuhr er fort. »Zugegeben, ich war ein bisschen mit der Miete im Rückstand, aber die Vermieterin war sehr entgegenkommend. Nach dem Brand jedoch hat sie dann ihre Meinung geändert und mir drei Tage Zeit gegeben, um auszuziehen. Heute ist die Frist abgelaufen.«
»Was denn für ein Brand?«, fragte ich beunruhigt, während Valdemar seine Zigarette im Aschenbecher ausdrückte.
»Jemand hat vor meiner Tür ein Feuer gelegt. Wahrscheinlich wollte er meine Wohnung abfackeln. Aber keine Sorge, das Manuskript ist unversehrt.«
»Das Manuskript?«, wiederholte ich verblüfft. »Du meinst, jemand wollte deine Wohnung anzünden, um das Manuskript zu vernichten?«
»Und mich gleich mit. Es gibt Leute, die mich aus dem Verkehr ziehen wollen. Die wissen, dass ich einigen Dingen auf der Spur bin. Darum solltest du auch das Licht nicht einschalten. Zu deiner eigenen Sicherheit.«
In diesem Augenblick sprang Mishima mit einem Satz auf Valdemars Schoß, und der begann sogleich, ihr denKopf zu kraulen. Ein ziemlich unheilvolles Bild. Womöglich war das alles nur Einbildung, der Verfolgungswahn von jemandem, der glaubte, auf einem Schachbrett die Zukunft lesen zu können. Die Tatsache, dass er mitten in der Nacht mit all seinen Sachen zu mir gekommen war, schien mir dennoch beunruhigend.
»Was hast du jetzt vor?«, erkundigte ich mich.
»Ich muss eine Zeit lang untertauchen, bis sie mich vergessen haben. Aber ich will dich nicht in Gefahr bringen. Ich brauche nur heute einen Platz zum Schlafen, morgen ziehe ich weiter.«
»Du suchst einen Ort, an dem du dich verstecken kannst?«
»Genau. Auch vor mir selbst. Ich glaube, ich habe in letzter Zeit ein wenig hoch gepokert.«
Ein wahnwitziger Gedanke schoss mir durch den Kopf. Meine Wohnung hatte nur ein Schlafzimmer, also konnte ich Valdemar nur das Sofa anbieten, das nicht gerade bequem war. Es gab jedoch noch eine Alternative. Den Blick gegen die Decke gerichtet, sagte ich:
»Ich habe den Schlüssel zu der Wohnung über mir. Eigentlich war der nur für mich gedacht, aber mein Nachbar wird es sicher nicht merken, wenn du dich ein paar Tage dort einquartierst.«
»Ist die Wohnung leer?«, erkundigte sich Valdemar aufgeregt.
»Ja, sie gehört einem alten Redakteur, der mit Angina Pectoris im Krankenhaus liegt. Ich helfe ihm inzwischen, an seinem Buch weiterzuarbeiten. Aber das kann ich auch an meinem Computer hier unten machen.«
»Und was ist das für ein Buch?«
»Nichts, was dich interessieren würde. Eine Anthologiemit Inspirationstexten. Es heißt Kleiner Lehrgang in Alltagsmagie . Wie du siehst, habe auch ich eine dunkle Seite.«
»Die haben wir alle«, sagte er, mit einem Mal sehr lebhaft. »Und es ist unsere Pflicht, dem nachzugehen und sie zu erforschen. Aber das ist ein gefährliches Abenteuer.«
»Du bist der beste Beweis«, gähnte ich.
Ich wollte ihm signalisieren, dass es Zeit war, ins Bett zu gehen. Doch Valdemar schien ganz in seinem Element und plapperte munter weiter.
»Bevor der Wettlauf ins All losging, hat die verborgene Seite des Mondes den Menschen zu allerlei Fantasien angeregt. Genau wie die Menschen zeigt auch unser Satellit immer nur die eine Seite. Was dahinter lag, war ein Mysterium. Darum waren die ersten Fotos zwar ein Riesenereignis, aber auch eine ziemliche Enttäuschung.«
»Was hatte man denn zu finden gehofft?«
»Natürlich wollte man Mondbewohner sehen und dachte nun, die verstecken sich vor den Fotos. Aber die Wissenschaft wusste ganz genau, dass da nichts war.«
»Und warum wollte man dann
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