Samuel und die Liebe zu den kleinen Dingen
recht großen und ziemlich lautstarken Katzenkolonie bevölkert. Keine besonders angenehme Geräuschkulisse, während man sich auf seinen Unterricht vorbereitet.
Für meinen heutigen Kurs hatte ich vor, die sogenannte konkrete poesie zu analysieren, eine Richtung innerhalb der modernen Lyrik, die sich unter anderem dadurch auszeichnet, dass alles klein geschrieben wird, sogar dieNamen. Die Dichter wollten so gegen die herrschen de Nachkriegsästhetik rebellieren – als ob es irgendetwas helfen würde, die Substantive nicht mehr groß zu schreiben.
Nach den Vormittagskursen blieben mir noch zwei Stunden bis zu meinem Treffen mit Gabriela. Langsam wurde ich unruhig. Ziellos streunte ich durch die Straßen, ohne recht zu wissen, wohin mit mir.
Mit einem Mal kam mir mein Leben außerordentlich wertvoll vor. Ich hatte keine Ahnung, was mich bei dem Treffen erwartete, doch der Gedanke, über einer Tasse Kaffee neben ihr zu sitzen, ließ mein Herz rasen. Außerdem fühlte ich einen hartnäckigen Schmerz im Magen, der mir das Atmen schwer machte.
»Du musst dich beruhigen«, sagte ich zu mir, »sonst kommst du erst gar nicht an.«
Also versuchte ich krampfhaft, mich auf etwas anderes zu konzentrieren. Obwohl es noch früh am Tag war, konnte es sein, dass Valdemar schon in unserem Straßencafé saß. Also machte ich mich kurzentschlossen dorthin auf den Weg.
Doch die drei Tische waren leer. Also setzte ich mich an den mittleren – ich war schon immer ein Freund fester Gewohnheiten gewesen –, bestellte einen Vernouth und ließ mich von der Februarsonne bescheinen.
Valdemars Mondstudien und sein Heimweh nach der Zukunft hätten mich jetzt bestens von mir selbst abgelenkt, was ich gut hätte brauchen können. Doch plötzlich tauchte eine andere bekannte Gestalt auf und verschaffte mir unerwartete Unterhaltung. Es war der Mannin schwarz, der laut Valdemar immer exakt siebzehn Mi nuten am Tresen des Cafés verbrachte.
Also beschloss ich, persönlich zu überprüfen, ob es sich dabei wirklich um eine Tatsache handelte oder ob sich Valdemar das bloß ausgedacht hatte. Es war exakt 12.43 Uhr, als der Mann seinen Platz am Tresen einnahm und ein Glas Bier bestellte. Folglich musste er um Punkt eins das Lokal wieder verlassen.
Wie ein Detektiv verfolgte ich jede seiner Bewegungen, während ich immer wieder auf meine Uhr schaute. Der Rothaarige nahm ein paar Schluck Bier, blätterte eine Sportzeitung durch und zündete sich eine Zigarette an. Nach der Hälfte drückte er sie aus, nahm einen weiteren Schluck Bier und widmete sich ohne besondere Begeisterung wieder der Zeitung. Die siebzehn Minuten waren so gut wie abgelaufen, doch der Typ schien es kein bisschen eilig zu haben.
Als der Minutenzeiger die Zwölf erreichte, ließ mich ein schriller Ton zusammenfahren. In der Bar hatte das Telefon geklingelt. Als hätte ihn das Geräusch aus seiner Lethargie gerissen, legte der Mann in schwarz eine Münze auf den Tresen und verließ eilig das Lokal, während der Kellner lustlos den Hörer abnahm.
Siebzehn Minuten.
Allerdings war es fraglich, ob er auch aufgestanden wäre, wenn das Telefon nicht geklingelt hätte. Doch eine weitere Überraschung unterbrach meine Überlegungen.
»Ich glaube, das ist für Sie«, sagte der Kellner, der mit einem schnurlosen Telefon in der Hand auf mich zugekommen war.
Ich war perplex. Wer konnte wissen, dass ich michhier aufhielt? Außerdem, woher wusste der Kellner, wer ich war? Er kannte doch nicht einmal meinen Namen. Drei Worte am anderen Ende der Leitung lüfteten das Geheimnis.
»Hier ist Valdemar.«
Hätte ich mir eigentlich auch denken können, dachte ich, wenngleich es ungewöhnlich war, dass er anrief, statt wie an jedem Mittag im Café vorbeizukommen.
»Ist etwas passiert?«, fragte ich leicht verwirrt.
Der Lärm im Hintergrund machte es mir schwer, ihn zu verstehen, sodass seine Stimme wie aus einer anderen Welt zu mir zu dringen schien. Nach kurzem Zögern sagte er: »Ja.«
»Geht es vielleicht etwas genauer?«
»Probleme. Aber darüber können wir nicht am Telefon sprechen.«
Wieso rufst du dann an? dachte ich, wollte ihn aber nicht verärgern.
»Lass uns später reden. Ich gebe dir mal meine Nummer ...«
»Ich habe doch gerade gesagt, dass das nicht am Telefon geht«, unterbrach er mich. »Sag mir, wo du wohnst, dann komme ich bei dir vorbei.«
Nicht sonderlich begeistert gab ich ihm meine Adresse.
»Du klingst so weit weg, als wärst du auf dem
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