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Samuel und die Liebe zu den kleinen Dingen

Titel: Samuel und die Liebe zu den kleinen Dingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesc Miralles
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wiederzuerkennen. Du hast mich zweimal angeschaut, einmal auf der Kreuzung, und dann hast du dich noch mal umgedreht, bevor du weitergegangen bist. Deshalb nahm ich an, du hättest mich auch erkannt.«
    »Stimmt, ich habe dich angesehen«, erwiderte sie und fuhr sich mit der Hand durchs Haar, »aber nicht, weil ich mich an irgendwas Besonderes erinnert hätte, sondern weil du im Schlafanzug unterwegs warst.«
    »Das hast du bemerkt?«, fragte ich peinlich berührt. »Ich hatte doch einen Mantel drüber.«
    »Der Mantel war aber halb offen und der Schlafanzug ziemlich gut zu sehen«, sagte sie. »Darum habe ich mich nach dir umgedreht.«
    »Dann war das alles ein großes Missverständnis«, sagte ich enttäuscht. »Aber das Foto beweist, dass du die Person bist, an die ich mich erinnert habe. Wenigstens das musst du zugeben – auch wenn du dich an nichts mehr erinnerst.«
    »Natürlich gebe ich zu, dass ich das bin, aber warum gräbst du so alte Geschichten wieder aus? Menschenwerden älter, sie verändern sich und vergessen einander. Sonst wäre das Leben ja auch ganz schön kompliziert, meinst du nicht?«
    Ich spürte, dass ich kurz davor war, in Tränen auszubrechen, was mir seit meiner Teenagerzeit nicht mehr passiert war. Ich wollte unser Treffen nur noch so schnell wie möglich beenden, um nicht als totaler Idiot dazustehen. Doch Gabriela holte zum letzten Schlag aus.
    »Du musst dich ja sehr einsam fühlen, um derart weit hergeholte Geschichte hervorzukramen.«
    Während ich den Kellner rief, um zu zahlen, suchte ich fieberhaft nach irgendeinem lässigen Satz, um diese Episode einigermaßen würdevoll abzuschließen. Doch mir fiel keiner ein.
    Gabriela sah mich besorgt an, als fühlte sie sich plötzlich verantwortlich für meinen Schmerz. Die Phase der Verachtung hatte ich gerade noch ertragen, Mitleid konnte ich nun nicht auch noch über mich ergehen lassen. Ich stand auf und sagte: »Es tut mir leid, wenn ich dich belästigt habe.«
    Mit dem Gefühl, um dreißig Jahre gealtert zu sein, ging ich davon.

BUDDHAS TROST
    Die Wunde war tief. Wenn ich nicht verbluten wollte, musste ich sie schnellstens lecken. Zu Hause angekommen, war ich überzeugt, alle Brücken hinter mir abgebrochen zu haben. Die Gondelschiffer würden ihre Lieder in Zukunft woanders vortragen müssen, denn ich hatte nicht vor, sie mir noch einmal anzuhören.
    Voll Wut und unendlicher Trauer stieg ich zu Titus’ Wohnung hinauf, um mich in ein Kapitel zu stürzen, das mir ganz besonders lag: »Die Schätze der Einsamkeit«.
    Die Bibliothek des alten Redakteurs hielt zwei amerikanische Ratgeber zu dem Thema bereit, die Schlüsselerkenntnisse versprachen. Party of One: The Loners’ Manifesto und Celebrating Time Alone: Stories of Splendid Solitude . Es ist wirklich famos, wie diese Art Bücher aus der Not eine Tugend, wenn nicht gar eine Pflicht machen.
    Im ersten Buch ging es um berühmte Einsiedler wie Newton oder Michelangelo, die nie irgendwo dazugehörten und denen es trotzdem glänzend ging. Das zweite bot ein paar praktische Erkenntnisse, die ich mir sogleich notierte.
     
    * Einsamkeit ist der vorherrschende Lebensstil des neuen Jahrtausends.
    * Sie wirkt sich günstig auf die eigenen Vorlieben und die Entscheidungsfindung aus.
    * Sie verschafft maximale Freiheit.
    * Sie verschafft maximalen Zeitgewinn.
    * Sie hilft, einen Sinn im eigenen Leben zu finden.
    * Sie bringt uns der Selbsterkenntnis und dem Göttlichen näher.
     
    Hier unterbrach ich meine Arbeit wieder, denn diese Weisheiten deprimierten mich. Sie zu akzeptieren bedeutete, sich lebendig zu begraben. Und das ausgerechnet jetzt, wo ich gerade den Kopf in die Welt hinausgestreckt hatte. Die Liebe von Gabriela blieb mir zwar verwehrt, aber ich war noch nicht bereit, mich in ein Einsiedlergewand zu hüllen.
    Es gibt eine Welt dort draußen, sagte ich mir, auch wenn ich sie nicht immer verstehe.
    Getröstet durch diesen Gedanken, bereitete ich das Abendessen für Mishima und mich zu, erledigte den Abwasch und hörte Radio ... Vielleicht hatte ich etwas von einem Einsiedler, aber so ganz als hoffnungsloser Fall fühlte ich mich jetzt nicht mehr.
    Schweren Herzens hatte ich beschlossen, Gabriela aus meinen Gedanken zu verbannen und einen neuen Kurs einzuschlagen, wo immer er mich auch hinführen würde. Die Schätze der Einsamkeit würde ich denen überlassen, die das Leben satthatten. Ich hatte eigentlich eher das Gefühl, noch gar nicht richtig damit begonnen zu haben.
    Ich nahm

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