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Samuel und die Liebe zu den kleinen Dingen

Titel: Samuel und die Liebe zu den kleinen Dingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesc Miralles
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vergessen, um wieder ein normaler Mensch zu werden. Die Kultur istein Hintergrundgeräusch, das mich daran hindert, das Leben zu sehen, wie es ist. Ich wäre gern ein vollkommen unwissender Mensch oder ein kluger Bauer, der sich nur nach seinen Bauernregeln richtet.«
    »Mein Bruder hat einen Hof in Berga«, spottete sie. »Vielleicht leiht er dir seine Hacke, wenn du ihn darum bittest.«
    »Einen ordentlichen Knüppelschlag auf den Kopf, den sollte er mir geben.«
    Unsere unerwartet angeregte Unterhaltung wurde vom Klingeln des Telefons unterbrochen. Ich wusste selbst nicht, wie ich dazu kam, solchen Unsinn zu erzählen. Aber mein Gast schien sich zu amüsieren, also erklärte ich: »Ich gehe nicht ran. Auf keinen Fall. Wir verweigern uns einfach dem Hintergrundlärm, der uns daran hindert, das wahre Leben zu genießen.«
    Beim dritten Klingeln sprang der Anrufbeantworter an. Als ich die Nachricht hörte, schüttete ich mir vor Schreck den Kakao über den Pullover.
     
    Samuel, ich wollte dir sagen, wegen letzter Woche tut es mir sehr leid. Ich glaube, ich war nicht fair zu dir. Kannst du mir verzeihen? Es gibt vieles, was du nicht von mir weißt. Na ja, im Grunde weißt du ja gar nichts von mir. Oder fast nichts.
     
    Ihre dunkle Stimme schien sich zu überschlagen und die Verbindung brach ab. Am liebsten wäre ich vor Scham im Boden versunken, bemühte mich aber, die Nachricht zu verdrängen und mich wieder auf unsere Unterhaltung zu konzentrieren. Doch Meritxell blickte verlegen zu Boden. Es war ihr offensichtlich unangenehm, diese private Nachricht mitgehört zu haben.
    Etwas verunsichert fuhr ich fort: »Wie gesagt. Man hat nie seine Ruhe hier.«
    Wieder klingelte das Telefon. Die anfängliche Vertrautheit zwischen Meritxell und mir war nun endgültig dahin. Ich wagte nicht mehr zu sprechen und erst recht nicht, den Hörer abzunehmen. Betreten kauerte ich einfach nur im Sessel wie ein frierender Hund.
    Es war noch einmal Gabriela:
     
    Was ich sagen wollte: Falls du mir nicht böse bist, würde ich mich freuen, wenn wir uns wiedersehen. Vielleicht können wir Freunde werden. Ich verspreche auch, nett zu sein, okay? Meine Nummer ist ...
     
    Noch bevor die Nachricht zu Ende war, hatte sich Meritxell vom Sofa erhoben und nach Koffer und Mantel gegriffen.
    »Ich muss los«, sagte sie.
    Völlig perplex brachte ich sie zur Tür. Bevor ich zum Abschied etwas sagen konnte, meinte sie:
    »Du hattest recht: Deine Einsamkeit ist ziemlich laut. Adiós.«

LEITMOTIVE
    Valdemar war an jenem Abend nicht wie vereinbart auf getaucht, ich hatte mich jedoch auch nicht aufraffen können, in Titus’ Wohnung nach ihm zu sehen. Mir wurde langsam klar, dass er ebenso unberechenbar war wie meine Katze.
    Also legte ich mich ins Bett und dachte noch einmal über diesen ereignisreichen Tag nach. Ich hatte die bemerkenswerte Entdeckung gemacht, dass jeder Tag eine bestimmte Tendenz, gewissermaßen ein Leitmotiv hat. Übrigens wieder ein Wort, das es nur auf Deutsch gibt.
    Es gibt Tage, an denen wir keinen Augenblick zur Ruhe kommen. An denen alles schiefgeht. An denen wir sagen: »Ich bin mit dem falschen Fuß aufgestanden.« Oder: »Heute wäre ich besser im Bett geblieben.« Vielleicht stimmt das auch, denn wenn das Leitmotiv lautet: »Heute ist der Wurm drin«, klappt einfach nichts, sosehr wir uns auch anstrengen.
    Ein anderes ziemlich häufiges Leitmotiv ist: »Du machst mich wahnsinnig.« Das sind diese Tage, an denen alle Welt ohne erkennbaren Grund genervt ist und sich wegen allem, was wir sagen oder tun, über uns aufregt. Auch dagegen kann man nichts machen, außer abwarten,dass der Sturm vorüberzieht. An Tagen mit negativem Vorzeichen ist es das Beste, keine drastischen Maßnahmen zu ergreifen, die man später bereuen müsste. Das Vernünftigste ist, ganz ruhig zu bleiben und zu hoffen, dass der nächste Tag bessere Vorzeichen mit sich bringt.
    Bevor ich einschlief, dachte ich an Meritxell und da ran, dass es sehr nett von ihr gewesen war, mich zu besuchen und sich meinen Unsinn anzuhören. Trotz des abrupten Abschieds war klar, dass wir auf einer Wellenlänge waren. Es gab eine Chemie zwischen uns, wir konnten ganz natürlich miteinander sein, ohne Angst, etwas Falsches zu sagen oder zu tun.
    Aber was war mit Gabriela? Warum hatte sie genau in dem Moment angerufen?
    Es war, als hätte sie von Weitem gespürt, dass ich dabei war, einem anderen Menschen näherzukommen, und als wollte sie mir einen Strich durch die Rechnung

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