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Samuel und die Liebe zu den kleinen Dingen

Titel: Samuel und die Liebe zu den kleinen Dingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesc Miralles
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Was hast du uns zu sagen? Wir wissen es nicht. Sag es uns!‹
    Da erwidert Nasreddin: ›Wenn ihr bis hierher gekommen seid, ohne zu wissen, was ich euch sagen will, seid ihr noch nicht bereit, es zu hören.‹
    Mit diesem Worten steht er auf und geht. Die Zuhörer sind verblüfft. Sie wollen ihn schon für verrückt erklären,als einer plötzlich ausruft: ›Nein, wie klug! Er hat recht! Wie konnten wir es wagen, hierher zu kommen, ohne zu wissen, was wir zu hören bekommen würden? Wir haben eine großartige Gelegenheit verpasst. Was für eine Erleuchtung, was für eine Weisheit. Wir wollen diesen Mann bitten, noch einmal zu uns zu sprechen.‹
    Ein paar Leute aus dem Dorf brechen auf, ihn zu suchen, und bitten ihn, noch einmal zurückzukommen. Nach längerem Bitten kommt Nasreddin noch einmal in das Dorf. Auf dem Dorfplatz ist diesmal doppelt so viel Publikum. Wieder sagt er: ›Ich nehme an, ihr wisst, was ich euch zu sagen habe.‹
    Die Leute haben ihre Lektion gelernt, und ein Sprecher antwortet: ›Natürlich wissen wir das. Darum sind wir ja gekommen.‹
    Nasreddin senkt den Kopf und sagt: ›Also gut, wenn ihr schon wisst, was ich euch zu sagen habe, sehe ich keinen Anlass, es noch einmal zu wiederholen.‹
    Wieder dreht er sich um und geht. Die Zuhörer sind perplex, und ein Fanatiker fängt an zu schreien: ›Brillant! Großartig! Wir wollen mehr hören! Dieser Mann soll uns mehr von seiner Weisheit schenken!‹
    Eine Abordnung von Honoratioren eilt los, ihn erneut zu holen. Sie flehen ihn auf Knien an, er möge ihnen eine dritte und letzte Rede halten. Nasreddin will nicht, doch sie bitten und flehen so sehr, dass er einwilligt. Als er auf den Platz kommt, wird er von einer tosenden Menge empfangen.
    ›Ich nehme an, ihr wisst, was ich euch zu sagen habe.‹
    Diesmal haben sich die Leute abgestimmt und den Dorfvorsteher dazu auserwählt, in ihrem Namen zu sprechen.
    ›Manche ja, manche nein.‹
    Die Zuhörer schweigen gespannt, und alle Blicke ruhen auf Nasreddin, der schließlich sagt: ›Mögen die, die es wissen, es denen erzählen, die es nicht wissen.‹
    Mit diesen Worten dreht er sich um und verschwindet.«

NEUE WAGNISSE
    Da ich die nächste Veranstaltung erst am Nachmittag zu geben hatte, beschloss ich einen Spaziergang zu machen und die Sonne zu genießen. Ich überquerte die Plaça Universitat und schlenderte ins Barrio Raval. Vorbei an einer russischen Buchhandlung bog ich ab zur Carrer de las Egipcíaques, der Gasse der Ägypterinnen – mir gefällt der Straßenname einfach so gut.
    Seit es die mittäglichen Treffen mit Valdemar nicht mehr gab, wusste ich nicht recht, was ich zur Mittagszeit mit mir anfangen sollte, und wanderte ziellos umher – eine Gasse hoch und die nächste wieder runter –, ohne mich irgendwo länger aufzuhalten. Ich hatte keine Lust auf einen erneuten Besuch des Marsella und ebenso wenig auf die überfüllten Ramblas.
    Ich bezweifle, dass sich irgendein Einheimischer da freiwillig hineinstürzen würde, solange er bei klarem Verstand ist.
    So streifte ich weiter durch die Gassen und entdeckte kleine Läden und Cafés, die ich nicht kannte: eine indische Churrería, ein schickes Restaurant, ein Lager mit allem möglichen elektronischen Plunder ... Nachdem ich eine Stunde ziellos umhergelaufen war,setzte ich mich auf der Rambla del Raval unter eine Palme.
    Du versuchst doch nur, Zeit zu schinden, dachte ich. Drehst hier eine Runde nach der anderen, weil du nicht weißt, ob du anrufen sollst oder nicht.
    Ich schaute auf die Uhr, es war halb drei. Wahrscheinlich war Gabriela bereits auf dem Weg nach Hause. Sie hatte mir ihre Handynummer gegeben, es war also kein Problem, sie zu erreichen. Aber sollte ich das wirklich tun? Womöglich war sie eine Neurotikerin, die nur darauf wartete, mir wieder einen Schlag ins Gesicht zu verpassen.
    In diesem Moment ging ein junges pakistanisches Pärchen an mir vorüber, das Händchen hielt.
    Das war ein so rührendes Bild, dass ich in meiner Hosentasche nach ein paar Münzen kramte und den Zettel auseinanderfaltete, auf dem ich ihre Nummer notiert hatte. Während ich wartete, dass sie abnahm, merkte ich, dass ich gar keine Aufregung verspürte.
    »Hallo?«
    Mit einem Schlag war meine Gelassenheit wieder da hin. Ihre Stimme zu hören reichte, um das Feuer wieder anzufachen. Doch ich ermahnte mich, kühl zu bleiben.
    »Hier ist Samuel.«
    »Hallo, Samuel. Wo bist du?«
    »Überall und nirgends. Ich vertreibe mir die Zeit, wie man so

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