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Samuel und die Liebe zu den kleinen Dingen

Titel: Samuel und die Liebe zu den kleinen Dingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesc Miralles
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eins mit Wörtern, die es noch nicht gibt und die man erfinden muss, wie du vorhin gesagt hast. Du wärst bestimmt der Richtige dafür.«
    »Wie kommst du darauf, dass ich ein Wörterbuch schreiben könnte?«
    »Du siehst aus wie jemand, der solche Sachen macht.«
    Diese Bemerkung kränkte mich, vor allem, weil es jastimmte. Nur ein Einsiedler würde sich mit solchen Din gen befassen. Das Buch von Francis Amalfi schrieb ich zwar aus Sympathie für Titus, aber trotzdem gehörte es in diese Kategorie. Ich wechselte in die Offensive.
    »Du hast mich überzeugt«, sagte ich. »Ich denke, ich werde dieses Wörterbuch schreiben. Aber du wirst mir helfen müssen! Was für Begriffe fehlen uns noch, außer der Schönheit, die nur Gott sieht?«
    »Da gibt es viele. Warum gibt es zum Beispiel das Wort ›Waise‹ für ein Kind, das seine Mutter verloren hat, aber kein Wort für die Mutter, die ihr Kind verliert? Hat sie kein eigenes Wort verdient?«
    »Da hast du recht. Jetzt, wo ich darüber nachdenke, habe ich auch eine Bedeutung, die noch ein eigenes Wort sucht: die Liebe im Kleinen.«
    »Liebe im Kleinen?«
    »Ja, vielleicht die einzige Entdeckung, auf die ich wirklich stolz sein kann«, erwiderte ich aufgeregt. »Man tut eine kleine gute Tat, gibt ein kleines bisschen Liebe und löst damit eine Kette von kleinen, aber bedeutsamen Ereignissen aus, die einem die Liebe doppelt und dreifach zurückgeben. Am Ende kannst du nicht mehr dahin zurück, wo du hergekommen bist, selbst wenn du es wolltest. Weil diese neuen Wege dich zu sehr verändert haben.«
    »Das ist schön, was du da sagst, auch wenn ich es noch nicht ganz verstanden habe.«
    »Ich verstehe es auch nicht ganz. Aber der beste Beweis dafür ist, dass wir jetzt hier sitzen.«
    Sofort bereute ich meine unbedachten Worte. Bis hier her war das Treffen so gut gelaufen, und ich hätte mich ohrfeigen können, dass ich nun alles verdorben hatte.Da ich ahnte, dass sie sich gleich verabschieden würde, schaute ich Gabriela – solange das Schweigen dauerte – intensiv an, um mir ihr Bild für die nächsten dreißig Jahre einzuprägen. Voller Neid betrachtete ich die Schmetterlinge in ihrem Haar, die ihr so nah waren.
    »Es wird Zeit für mich«, sagte sie. »Ich muss nach Hause.«
    Sie stand auf, und ich tat es ihr nach. Ich fragte: »Wo wohnst du?«
    »An der Plaça dels Àngels.«
    Wo sonst? dachte ich. Jemand wie Gabriela kann nur am Platz der Engel wohnen.
    »Ich bringe dich ein Stück«, erbot ich mich hastig. »Lieber nicht. Ich will über die Wörter nachdenken, die es noch nicht gibt.«
    Schnell nahm ich ihren Faden auf und rang mir einen letzten Versuch ab: »Angenommen, ich schreibe wirklich dieses Wörterbuch, dann müsste ich ja wissen, welche Einträge du schon gefunden hast. Kann ich dich mal zum Mittagessen einladen? Es gibt da ein Restaurant in Gràcia, von dem ich immer noch nicht herausgefunden habe, warum es so heißt, wie es heißt. Der ideale Ort zum Wörtererfinden.«
    »Wie heißt es denn?«, fragte Gabriela, während sie sich, bereits auf der Straße, den Mantel zuknöpfte. »Buzzing. Wann wollen wir hingehen?«
    Unschlüssig sah sie mich an. Ich glaube, sie hatte begriffen, dass ich sie nicht einfach so gehen lassen würde, also antwortete sie: »Vielleicht am Donnerstag.«
    »Donnerstag ist wunderbar. Du kennst das Buzzing ja nicht, also hole ich dich am besten im Laden ab, in Ordnung?«
    Wir standen da wie in einem Drehbuch, auf das ich nicht vorbereitet war – »boy insists, girl resists« –, und so küsste ich sie zum Abschied auf die Wangen.
    »Du pikst«, sagte sie und lächelte zaghaft. Vielleicht war doch noch nicht alles verloren.

EIN FUNKE IN DER FINSTERNIS
    Ich gehöre zu den Menschen, die dann alles wiedergut machen wollen, wenn es längst zu spät ist. Während ich mit der Metro zum Krankenhaus unterwegs war, überkam mich eine schmerzliche Scham. Ich hätte Gabriela nicht derart bedrängen dürfen, auch wenn ich in sie verliebt war. Ich hätte etwas Dezentes, Feinfühliges sagen sollen wie: »Vielen Dank für den Tee und den netten Nachmittag. Solltest du wieder einmal darauf Lust haben, weißt du ja, wo du mich findest.«
    So hätte sie sich nicht unter Druck gesetzt gefühlt und mich womöglich sogar wieder angerufen. Aber nein, stattdessen musste ich sie zu einem weiteren Treffen überreden. Höchstwahrscheinlich würde sie mir morgen eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen und das Treffen absagen. Ich hätte es

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