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Samuel und die Liebe zu den kleinen Dingen

Titel: Samuel und die Liebe zu den kleinen Dingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesc Miralles
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gesagt der von Meritxell.
    Eine kleine Gefahr schien mir jedoch unser nachmittägliches Kaffeetrinken zu überschatten. Es waren noch exakt vierundzwanzig Stunden bis zu dem Treffen mit Gabriela. Der ideale Moment, um es unter irgendeinemVorwand abzusagen. Wenn der Anrufbeantworter erneut ansprang, während wir im Wohnzimmer saßen, konnte ich die Freundschaft mit Meritxell endgültig abschreiben.
    Die Lösung war simpel: den Anrufbeantworter ausstöpseln und das Telefon gleich mit. Eigentlich wollte ich auch gar nicht wissen, ob Gabriela kommen würde oder nicht. Ich würde einfach zur vereinbarten Zeit am Plattenladen sein, und wollte sie dann nicht mitkommen, würde ich alleine in dem Restaurant zu Mittag essen. Mehr Gedanken wollte ich mir im Moment erst mal noch nicht machen.
    Von der Außenwelt abgeschottet, setzte ich mich am frühen Nachmittag an den Schreibtisch, ich hatte Deutsch- und Literaturgeschichte-Klausuren zu korrigieren. Erstaunlicherweise gab es kein echtes Mittelfeld: Ein Teil der Arbeiten war tadellos; bei den anderen musste man eine ordentliche Portion Mitgefühl oder Pragmatik an den Tag legen, um die jeweiligen Studenten bestehen zu lassen.
    Während ich leidenschaftslos die Aufgaben korrigierte, fragte ich mich, was Valdemar wohl den ganzen Tag dort oben trieb. Nur weil ich ihn seit einigen Tagen nicht gesehen hatte, hieß es ja nicht, dass das Problem aus der Welt war. Wie lange konnte ich ihn verstecken? Wenn Titus sterben würde – was ja anscheinend kein abwegiger Gedanke mehr war –, würden seine Angehörigen kommen, um die Wohnung aufzulösen. Wenn sie ihn dort fanden, saß ich in einem ziemlichen Schlamassel.
    Der Gedanke an Valdemar rief mir eine noch problematischere Angelegenheit ins Gedächtnis: das Buch von Francis Amalfi. Es war eine Ewigkeit her – so schienes mir jedenfalls –, dass Titus mich gebeten hatte, den Auftrag zu übernehmen. Es hätte längst fertig sein sollen, obwohl Titus mir weder den Abgabetermin noch den Verlag genannt hatte, für den das Buch bestimmt war.
    Die Klingel riss mich aus meinen Grübeleien. Während ich Meritxell die Treppe hinaufkommen hörte, setzte ich den Kaffee auf. Ihr Schritt war sanft und ruhig, wie der eines kleinen Mädchens.
    Ich begrüßte sie mit einer schüchternen Umarmung und half ihr aus dem Mantel. Sie schien wieder bester Laune zu sein. Offensichtlich hatte sie mir die Ereignisse während ihres letzten Besuchs nicht übel genommen.
    Das Angebot auf einen Kaffee und ein halbes Croissant nahm sie dankbar an, und ich versuchte unser Gespräch durch meine Lieblingsplatte von Keith Jarrett, The Köln Concert , unauffällig zu untermalen.
    »Ich kann Mishima gar nicht entdecken«, sagte sie ironisch.
    »Sie hat sich versteckt, nehme ich an. Ich glaube, sie riecht dich schon von Weitem. Ich kann das gut verstehen – ich habe mich auch immer unterm Bett verkrochen, wenn ich wusste, dass der Arzt mit einer Spritze kam.«
    Soeben hatte ich den Kaffee und das halbierte Croissant auf den kleinen Tisch gestellt, als ein erneutes Klingeln an der Wohnungstür mich aufschrecken ließ.
    »Erwartest du jemanden?«, erkundigte sich Meritxell misstrauisch.
    »Eigentlich nicht«, erklärte ich und lief rasch zur Tür.
    Als ich öffnete, sah ich meine Befürchtungen bestätigt:
    Es war Valdemar, mitsamt seinem Hut auf dem Kopf.Bevor ich ihn hereinbitten oder aber ihm den Weg versperren konnte, war er schon im Flur und marschierte gleich weiter ins Wohnzimmer.
    Hastig lief ich hinter ihm her und konnte so gerade noch den Schrecken auf Meritxells Gesicht sehen, als sich Valdemar grußlos neben ihr auf dem Sofa niederließ.
    »Er wohnt über mir«, sagte ich, als würde das irgendetwas erklären. »Normalerweise treffen wir uns um Mitternacht, aber heute ist er früher gekommen.«
    »Sie haben Temis gefunden«, verkündete Valdemar euphorisch, als müssten Meritxell, ich und der Rest der Menschheit wissen, worum es ging. Er setzte den Hut ab, um sich besser anlehnen zu können, und erklärte: »Temístocles García. Für seine Freunde Temis. Er ist letztes Jahr am 5. Juli im Valle de la Luna verschollen.«
    Während Valdemar vor Aufregung immer mehr herumhampelte, saß Meritxell mit der Kaffeetasse in der einen und dem halben Croissant in der anderen Hand wie erstarrt da.
    Ich sollte ein Foto von ihr machen, dachte ich. Sehr wahrscheinlich war dies unser letztes gemeinsames Kaffeetrinken.
    »Ich spreche von Nordchile«, erklärte Valdemar, »von

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