Samurai 5: Der Ring des Wassers (German Edition)
Ende einer schmalen Gasse lag der geheimnisvolle Ryoan-ji, der Tempel des friedlichen Drachen, in dem ein Mönch mit Händen wie Messer Akiko heimlich in der Kunst der Ninja unterrichtet hatte.
So viele Erinnerungen und Erlebnisse waren für ihn mit dieser Stadt verknüpft, doch schienen sie alle in geisterhafte Ferne gerückt. Er empfand die Stadt bei aller Vertrautheit fast als feindselig.
Die Menschenmenge auf dem Hauptmarkt machte ihn zum Beispiel unruhig. Zwar konnte er darin untertauchen, aber zugleich konnte er auch von viel mehr Menschen erkannt werden. Er hielt den Kopf gesenkt und achtete sorgfältig darauf, dass Ronins breitkrempiger Hut sein Gesicht bedeckte.
Ronin bahnte ihnen den Weg durch die mit einkaufenden und flanierenden Passanten, Samurai und Händlern verstopften Straßen. Sie bogen in eine Gasse ein und gelangten auf einen kleinen Platz, auf dem es ruhiger zuging.
Vor einem Teehaus in einer Ecke des Platzes hielt Ronin an. »Ihr wartet hier. Ich erkundige mich inzwischen, wo wir Araki finden.«
Er bestellte eine Kanne Grüntee für Jack und Hana, bezahlte bei dem Mädchen, das ihn brachte, und machte sich auf die Suche nach dem Samurai, der im Besitz von Jacks Schwertern war.
»Wie lange wird er wohl brauchen?«, fragte Hana und schenkte Jack ein.
»Nicht lange hoffentlich.«
Jack wünschte, er wäre nicht nach Kyoto gekommen. Ihm war, als hätte er die Höhle des Löwen betreten. Er konnte nur hoffen, dass die meisten Einwohner der Stadt so sehr mit ihren eigenen täglichen Dingen beschäftigt waren, dass sie einen Reisenden in einem unauffälligen blauen Kimono und mit einem Strohhut gar nicht bemerkten.
Hana sah sich ehrfürchtig um. »Ich hätte mir Kyoto nie so vorgestellt!«
Während Jack an seinem Tee nippte, beschrieb sie ihm alles, was sie sah – die Geishas mit ihren weißen Gesichtern, den breitbeinig daherkommenden Samurai, die Statue mit dem Löwenkopf vor dem nächsten Tempel und den Straßenhändler, der Kreisel aus Holz verkaufte.
Nach einer Weile kam der Besitzer des Teehauses zu ihnen. »Noch Tee?«
Hana sah Jack an, der den Kopf schüttelte.
»Nein danke«, antwortete sie.
»Ihr kommt nicht von hier, oder?«
Hana lächelte freundlich. »Wir machen mit unserem Herrn eine Pilgerreise.« Sie hatten sich die Antwort vorher zurechtgelegt.
»Natürlich«, erwiderte der Teehausbesitzer. Er betrachtete Jack neugierig, stellte aber keine weiteren Fragen. »Ich will euch nur in aller Freundschaft warnen. Reisende fallen in dieser Stadt auf und nicht alle sind so willkommen, wie sie es einmal waren.«
Jack wagte es nicht, aufzublicken.
»Und ihr beide scheint besonders interessant zu sein.«
»Für wen?«, fragte Hana.
»Für den metsuke auf der anderen Straßenseite.«
Hana blickte ihn verständnislos an. Der Teehausbesitzer beugte sich über sie, als wollte er den Tisch abräumen.
»Einen Späher. Einen Spion des Shoguns.«
24
Metsuke
»Wie sieht er aus?«, fragte Jack Hana, sobald der Teehausbesitzer wieder gegangen war, um sich um andere Gäste zu kümmern.
Hana war als geschickte Diebin so geistesgegenwärtig, sich nicht gleich nach ihrem Beobachter umzudrehen. Stattdessen tat sie so, als bewundere sie die Umgebung, und blickte dabei wie zufällig über die Straße.
Zuerst sah sie niemanden. Dann bemerkte sie eine Gestalt, die untätig vor dem Eingang des Tempels stand. Der Mann schien nicht beten zu wollen und auch sonst keine Eile zu haben.
»Jung«, sagte sie. »Dünn wie ein Essstäbchen und mit Augen, die etwas zu eng zusammenstehen. Er trägt einen schwarzen Kimono und zwei Samuraischwerter. Und noch etwas ist merkwürdig. Er scheint kaum älter zu sein als du.«
Jack überlief ein kalter Schauer. Hanas Beschreibung klang beunruhigend vertraut.
»Wo ist er?«
»Drüben bei der Löwenstatue.«
Jack spähte vorsichtig unter der Hutkrempe hervor. Ein steter Strom von Passanten überquerte den Platz, aber keiner von ihnen trug einen schwarzen Kimono.
»Wo denn?«
»Vor der …« Hana sah sich um. »Jetzt ist er weg!«
»Dann sollten wir auch gehen.« Jack griff nach seinem Stab.
»Warum? Das ist doch gut. Offenbar hält er uns nicht für verdächtig.«
»Vielleicht nicht«, sagte Jack. Am besten gingen sie zur Burg Nijo. »Aber es könnte auch Ärger bedeuten.«
»Aber wir können nicht gehen, solange Ronin noch nicht da ist«, wandte Hana ein. »Wie soll er uns finden?«
Jack hielt inne. Sie hatten keinen alternativen Treffpunkt
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