Samurai 6: Der Ring des Feuers (German Edition)
Bergen, dachte er und ließ den Blick über die endlose Ebene von Okayama wandern. Vielleicht sollte ich mich eine Weile ausruhen. Mich vom Schnee zudecken lassen. Niemand würde mich finden, nicht einmal Kazuki …
Jack schüttelte sich. Solche selbstzerstörerischen Gedanken durfte er nicht zulassen. Verzweifelt wehrte er sich gegen seine Erschöpfung und klammerte sich an die einzige Hoffnung, die ihn noch aufrecht hielt – dass er eines Tages nach Hause zu seiner Schwester Jess zurückkehren würde.
Nach der Trennung von seinen Freunden, dem Samurai Ronin und der Diebin Hana, war er auf seiner Flucht gut vorangekommen. Sein Ziel war Nagasaki, die Hafenstadt im Süden. Dort hoffte er ein Schiff nach England zu finden. Wie durch ein Wunder hatte er den Stadtrand von Osaka unbehelligt passiert. Anschließend war er der Küstenstraße gefolgt. Die Kontrollpunkte der Samurai hatte er sorgfältig gemieden. So war er nach Himeji mit seiner Burg gelangt. Und hier hatte er den ersten Fehler gemacht. Der Proviant war ihm ausgegangen und er hatte auf einem Markt von seinem letzten Geld ein wenig Reis gekauft. Doch die Häscher des Shoguns waren allgegenwärtig – und sie suchten nach Ausländern, insbesondere nach einem ganz bestimmten Gaijin-Samurai. Sie hatten Jack entdeckt, obwohl er sich den Hut tief ins Gesicht gezogen hatte. Er hatte fliehen müssen. Drei Tage lang waren sie ihm dicht auf den Fersen gewesen. Und er hatte sie nur dadurch abschütteln können, dass er seine Spuren verwischt hatte, wie er es als Ninja gelernt hatte, und von der Küstenstraße ins Gebirge abgebogen war.
Jetzt sah es allerdings so aus, als hätte er damit sein Schicksal besiegelt.
Blind stolperte er durch das Schneetreiben und betete um ein schützendes Dach über dem Kopf. Zweimal stürzte er und stand wieder auf. Beim dritten Mal verweigerte sein Körper den Dienst – der Mangel an Nahrung, Schlaf und Wärme forderte seinen Tribut.
Rasch bildete sich eine dünne Schneedecke auf seinen kältestarren Gliedern.
Während Jack langsam mit dem Boden verschmolz, hörte er in Gedanken die Stimme seines Freundes Yori … Siebenmal unten, achtmal oben!
Das Mantra, das ihn vor zwei Jahren beim Wettbewerb der Schulen in den Kampfkünsten gerettet hatte, wurde mit jeder Wiederholung lauter.
Siebenmal unten, achtmal OBEN ! Siebenmal unten, ACHTMAL OBEN ! SIEBENMAL UNTEN , ACHTMAL OBEN !
So sehr hatte er die Lektion verinnerlicht, dass man nie aufgeben durfte, dass sie auch diesmal stärker war als sein körperliches Versagen. Unter Aufbietung seiner letzten Kraftreserven richtete er sich auf. Und als er schließlich wieder stand, bildete er sich ein, in einiger Entfernung das flackernde orangefarbene Flämmchen einer Öllampe zu sehen. Schwankend stapfte er darauf zu. Weitere Lampen kamen in Sicht und zuletzt tauchte eine größere Ortschaft vor ihm aus dem Schneesturm auf.
Zwar mied Jack bewohnte Gegenden sonst möglichst, aber diesmal trieb ihn die Verzweiflung weiter. Mit letzter Kraft erreichte er das erste Haus und duckte sich in eine Ecke der Veranda, wo er vor dem eisigen Wind geschützt war.
Sobald er sich ein wenig erholt hatte, sah er sich um.
Die Lichter zahlreicher Herbergen und Wirtshäuser, welche die Hauptstraße säumten, fielen in einladenden Bögen über die Straße und hießen den müden Reisenden mit ihrem warmen Schein willkommen. Lautes Gelächter und Grölen waren zu hören und kleine Gruppen von Samurai, Geishas, Händlern und Einheimischen eilten auf der Suche nach Unterhaltung und Schutz vor dem Unwetter von Haus zu Haus.
Jack bemerkte, dass er in seiner Ecke den Blicken der Passanten ausgesetzt war. Bestimmt würde man ihn bald entdecken. Hastig zog er sich den Strohhut tiefer ins Gesicht, stand auf und ging die Straße entlang wie ein ganz gewöhnlicher Samurai.
Der Geruch von gekochtem Reis, Sojasoße und gegartem Fisch stieg ihm in die Nase und das Wasser lief ihm im Mund zusammen. Auf der rechten Straßenseite stand die Schiebetür eines Hauses ein wenig offen. Drei Samurai waren dahinter zu erkennen, die an einem lodernden Herdfeuer saßen, Sake tranken und große Mengen gekochten Reis in sich hineinschaufelten. Jack wusste nicht mehr, wann er zuletzt eine richtige Mahlzeit zu sich genommen hatte. Eine ganze Woche lang hatte er sich mühsam etwas zusammensuchen müssen. Der Winter war eine magere Zeit. Ganz am Anfang hatte er mit einem Wurfstern ein Eichhörnchen erlegen können, ansonsten war er
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