San Miguel: Roman (German Edition)
drang. »Pst«, sagte sie. »Keine Sorge. Es geht alles gut. Du wirst sehen.«
In den nächsten zwei Wochen machte sich Herbie in dem Geräteschuppen auf der anderen Seite des Hofs zu schaffen. Jeden Morgen verschwand er darin und kam erst zum Mittagessen wieder zum Vorschein; danach schloss er die Tür zum Schuppen ab und erledigte die anderen Arbeiten. Als sie ihn fragte, was er dort mache, sah er sie geheimnisvoll an und sagte, das dürfe er nicht verraten, doch wenn sie auf die Veranda trat, um Wäsche aufzuhängen oder das Tischtuch auszuschütteln, oder wenn sie sich unter einem verhangenen oder strahlendblauen Himmel mit ihrem Strickzeug in einen der Liegestühle setzte, sagten ihr die Ohren, dass das Geheimnis etwas mit dem Einschlagen von Nägeln und dem metronomischen Hin und Her einer Säge zu tun hatte. Er baute etwas. Was konnte es sein? Ein Stubenwagen? Ein Kinderbett? Was immer es war, es würde roh gezimmert sein – er war kein Handwerker –, doch sie würde es trotzdem staunend bewundern. Was zählte, war die gute Absicht. Und sie konnte ja wohl nicht ein Kinderbett aus Ahornholz aus dem Sears-Roebuck-Katalog bestellen, oder? Wenn eines der Boote kam – die Vaquero oder Bob Ords Poncador oder die Hermes , der Kutter der Küstenwache –, könnte sie ihm einen Brief mit einer Bestellung mitgeben, und ein anderes Boot könnte ihr das Bett dann bringen, aber welche Lieferadresse sollte sie angeben? Und wie sollten sie so etwas in Zeiten wie diesen bezahlen?
Es kam der Tag, an dem das Hämmern und Sägen und das beharrliche Zischen des Schleifpapiers verstummten und er sie zum Schuppen führte, um ihr zu zeigen, was er geschreinert hatte. Die Tür stand offen. Sie hatte den Hof noch nicht zur Hälfte überquert, da roch sie schon den Schellack. Drinnen, in dem Licht, das in einem schrägen Winkel durch die Türöffnung fiel, stand ein Kinderbett, zusammengenagelt aus einem Dutzend Holzstücken in den verschiedensten Brauntönen und mit glänzendem Schellack überzogen. Es war riesig, groß genug für fünf Babys, und anstelle einer Matratze lagen darin Kissen von den Betten in den Zimmern am anderen Ende des Hauses, wo Jimmie und die Scherer schliefen. Für einen Augenblick war sie sprachlos. Die Stille hing zwischen ihnen, bis Herbie leise sagte: »Ich dachte, Schellack ist besser als Farbe. Ich will ja nicht, dass das Baby sie abkratzt und sich, ich weiß nicht, vergiftet. So was soll’s ja geben.«
Sie konnte nur lachen und ihn am Arm packen, genau am Bizeps, und ihn an sich ziehen und küssen. »Es ist wunderschön«, sagte sie. »Perfekt.« Sie wollte ihn noch mehr loben und ihm sagen, wie gut er die verschiedenen Holzarten kombiniert hatte und wie schön es aussehen würde in der Ecke ihres Schlafzimmers, gleich neben dem Ofen, dessen Ofenrohr er demnächst montieren würde, doch sie kam nicht dazu, denn er sah sie mit seinem strahlenden Lächeln an und sagte: »Wie wär’s, wenn wir uns einen Tag freinehmen? Wir machen ein Picknick. Wie wär’s mit einem Picknick am Strand?«
Sie gingen hinunter zur Bucht und breiteten auf dem Sand eine Decke aus. Sie hatte aus einem selbstgebackenen Baguette – oder vielmehr dem besten Ersatz dafür, den sie zustande brachte – Sandwiches mit Erdnussbutter und Marmelade gemacht, ein paar Haferplätzchen in eine Zeitung gewickelt und den größten Teil eines Krugs Eistee (oder vielmehr kalten Tee, da sie kein Eis hatten und auch nicht die Mittel, es herzustellen) in eine Thermosflasche gegossen, und nun setzten sie sich auf die Decke, lasen in ihren Büchern, aßen und sahen aufs Meer. Es war ein schöner Tag, und die Sonne stand hoch am Himmel – von Anfang September bis Ende Oktober war das Wetter hier draußen am besten, hatte Herbie ihr versichert, und er hatte es von Jimmie –, aber ohne Schutz vor dem Wind war es frisch, und sie war froh, dass sie einen Pullover mitgenommen hatte. Sie dachte gerade an das Abendessen, an den gemächlichen Spaziergang den Hügel hinauf, in Salbeibutter gebratene Lammkoteletts, dazu noch mehr Baguette, und dann, am Abend, würden sie auf der Veranda sitzen, wo sie den sich verfärbenden Himmel betrachten könnten, bis es dunkel war und sie sich drinnen an den Ofen setzen und leise über das Baby und ihre Pläne sprechen würden – und über Namen, ja, auch über Namen –, als Herbie plötzlich einen Schrei ausstieß und aufsprang, als hätte ihn etwas gestochen. »Siehst du das?« rief er und zeigte aufs
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