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San Miguel: Roman (German Edition)

San Miguel: Roman (German Edition)

Titel: San Miguel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Kartoffeln in Scheiben schnitt, um sie in der Pfanne zu braten. Er tänzelte durch die Küche, machte sich an der Kaffeekanne zu schaffen, holte Brennholz herein, schnitt Speck in dicke Streifen und legte sie in die Pfanne, um sie brutzeln zu hören, er ging zweimal in die Scheune, um nach den Pferden zu sehen, und dreimal ins Wohnzimmer, um das Arrangement seiner Gewehre zu bewundern, und immer wieder rief er auf der Veranda nach Bob Brooks: »Na komm schon, Bob, heb deinen faulen Hintern aus dem Bett!«
    Als Brooks aus dem hinteren Schlafzimmer auftauchte, war es nach acht Uhr. Barfuß und mit unsicheren Schritten ging er die Veranda entlang zur Küche. Sein Haar war zerzaust. Er hatte sich nicht rasiert. Er trug dieselben Kleider wie am Vortag – eine Hose aus grobem Baumwollstoff und ein Flanellhemd mit offenem Kragen und aufgekrempelten Ärmeln –, und kaum hatte er die Tür geöffnet, da hüpfte Herbie um ihn herum und hielt ihm einen Becher Kaffee hin, als wäre es eine Opfergabe. »Trink das«, rief er. »Das wird dich zum Leben erwecken – der stärkste Kaffee in der Geschichte der Menschheit, und ich hab ihn selbst gemacht, denn ich wusste, dass du ihn nach gestern abend dringend brauchen würdest.«
    Brooks nahm den Becher, blies auf den Kaffee und schüttelte bedauernd den Kopf. »Ich konnte noch nie mit dir mithalten – aber wer kann das schon?«
    Sie stand am Herd, rüttelte mit einer Hand an der gusseisernen Pfanne und hielt in der anderen den Spatel. »Guten Morgen, Bob«, sagte sie und sah über die Schulter. »Gut geschlafen?«
    »Wie ein Stein.«
    »Steine schlafen aber nicht«, warf Herbie ein. Er zog einen Stuhl am Tisch zurück, der mit Tellern, Bechern, Servietten, Messern, Gabeln und Löffeln für drei Personen gedeckt war. »Sie sind unbelebt. Waren nie wach. Wie kannst du wie etwas schlafen, das nie wach war?«
    »Dann eben wie ein Toter.«
    »Aber ein Toter schläft nicht. Er ist tot.«
    »Okay, Herb, wie du meinst ... Du bist mir heute morgen rhetorisch überlegen, turmhoch überlegen. Ich wollte nur sagen: Ich habe gut geschlafen, Elise – kein Wunder, nach dem köstlichen Essen, das du uns gestern abend serviert hast.«
    Herbie hatte sich gesetzt. Sein Bein wippte, er trank einen Schluck Kaffee. »Und dem Schlaftrunk.«
    »Schlaftrunk?«
    »Canadian Club, wenn ich mich nicht irre. Übrigens: Wenn es eine Möglichkeit gibt, noch mehr davon zu bekommen – sagen wir ein paar Kartons –, dann lass es mich wissen.«
    So ging es das ganze Frühstück hindurch: Herbie und Bob Brooks witzelten miteinander, und Brooks, das musste man ihm lassen, war die ganze Zeit gutmütig und kein bisschen ungeduldig oder herablassend oder sonstwie ablehnend. Sie waren Freunde, alte Freunde, seit der Zeit im Walter Reed Hospital nach dem Krieg, wo sie sich erholt hatten, auch wenn sie nie herausgefunden hatte, weswegen Brooks eigentlich dort gewesen war. Herbie war verwundet worden, als eine Mörsergranate neben ihm eingeschlagen war, und sie wusste auch, dass er einen Schützengrabenschock erlitten hatte, auch wenn sie keine klare Vorstellung hatte, was das eigentlich war. Eine Granate schlug ein. Es gab eine Explosion. Splitter flogen durch die Luft. Und entweder man erholte sich davon oder man erholte sich nicht. Anfangs zuckte man vielleicht noch zusammen, wenn man ein unvermitteltes lautes Geräusch hörte – die Fehlzündung eines Automobils oder einen Knallfrosch am Vierten Juli –, aber das Leben ging weiter. Für Herbie jedenfalls war es weitergegangen. Er war intelligent und tüchtig, er fürchtete sich vor nichts und war lebendiger als alle Männer, die sie kannte – und das schloss ihren Vater und ihre Brüder ein –, ganz und gar nicht wie dieser traurige Waschlappen in dem Buch von Virginia Woolf, dessen Titel sie sich einfach nicht merken konnte.
    Mitten in einer Lobrede auf eines seiner Gewehre – die japanische Luntenschlossbüchse, die Tanegashima-Arkebuse mit den in den Kolben geschnitzten kanji – sprang er auf und lief ins Wohnzimmer, um es zu holen, damit sie es sich selbst ansehen konnten, und Bob Brooks, der ihr gegenübersaß, sah sie an und sagte: »Er scheint ja bester Stimmung zu sein. Du wirkst Wunder für ihn.«
    »Er aber auch«, sagte sie. »Er wirkt Wunder für mich.«
    »Das freut mich. Nein, mehr als das: Es macht mich glücklich. In den letzten Jahren hat er es schwer gehabt. Immer auf Achse für diese Maschinenbaufirma, immer unterwegs von einem Ort zum anderen

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