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San Miguel: Roman (German Edition)

San Miguel: Roman (German Edition)

Titel: San Miguel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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ihre Periode gehabt und eine der Binden benutzt hatte, die sie bei den tausend anderen Dingen, die einzupacken und mitzunehmen gewesen waren, auf keinen Fall hatte vergessen dürfen, denn wenn sie ihr ausgingen, konnte sie ja nicht mal eben zur nächsten Apotheke gehen und welche kaufen, oder? Aber wie lange war es her? Sie konnte sich nicht erinnern. Und weil sie sich nicht erinnern konnte, durchfuhr sie diese ungeheure Erregung: Sie war tatsächlich schwanger. Natürlich. Gegen alle Wahrscheinlichkeit.
    Sie sah Herbie an. Da saß er, mit dem Rücken zu ihr, trank seinen Tee und war in die Zeitschrift vertieft. Sein Haar war grauer geworden. Die Ohren waren von der Sonne verbrannt – rot, knallrot, roter als die Tomaten, die sie geerntet hätte, wenn die Vögel die zarten Triebe nicht bis auf die nackte Erde abgefressen hätten, genau wie Jimmie es prophezeit hatte. Sie sah, wie seine Schultermuskeln sich bewegten, als er die Seite umblätterte. Ihr Mann. Ihr Gefährte. Wie würde sie es ihm sagen? Herbie, ich glaube, ich bin schwanger . Oder nein: Ich bin schwanger . Eindeutig. Kein Zweifel.
    Sie wartete aber bis nach dem Essen, als sie auf den Liegestühlen auf der Veranda saßen und sie Gelegenheit gehabt hatte, Thornton’s Medical Encyclopedia zu konsultieren. Fasziniert hatte sie von der Plazenta und der Nabelschnur gelesen, die sich in ihr bildeten und den Embryo, den Fötus, das Kind versorgten, davon, dass ihre Brüste anschwollen, damit sie Milch geben konnte, denn sie war ein Säugetier, und dafür waren die Milchdrüsen eben da, und dass ihr Becken sich weiten würde, damit das Baby durch den Geburtskanal gleiten könnte, hinaus in die Welt, wo es eine Tochter oder ein Sohn sein würde – ihre Tochter, ihr Sohn. Das alles hatte sie natürlich bereits gewusst, wie es jeder irgendwie wusste, aber bis jetzt, bis zu diesem Augenblick, war es ein rein theoretisches Wissen über den Körper und die Abläufe darin gewesen, das sie nicht betraf und nie betreffen würde, und sie hatte es so gewusst, wie sie wusste, dass die Nieren das Blut filterten und das Herz mit seinen zwei Kammern es pumpte, dass das Gehirn dachte und der Magen sich zusammenzog, wenn man hungrig war. Wissen eben. Etwas, was in Biologiebüchern stand.
    Der Wind rüttelte am Tor, und es klang, als wäre jemand gekommen, doch es kam niemand – Jimmie war noch auf dem Festland, weil Bob Brooks es sich nicht leisten konnte, ihn hier zu bezahlen, und außerdem wurde er ja erst bei der Schur wieder gebraucht. Und darum waren sie also zu zweit, nur Herbie und sie. Sie roch das Meer, rein und kalt, spürte die Wärme der Sonne auf Gesicht und Beinen, auf Bluse und Rock und dem sich rundenden Bauch und den erblühenden Brüsten, die diese Kleidungsstücke verbargen. Sie legte ihr Buch beiseite – es war irgendein Roman, auf den sie sich nicht konzentrieren konnte – und sagte mit einer Stimme, so leise und zögernd, dass sie es selbst kaum hören konnte: »Herbie, ich glaube, ich bin schwanger.«
    Der Ausdruck auf seinem Gesicht. Als hätte sie gesagt: Sie werfen Goldmünzen aus einem Flugzeug ab .
    »Nein!« sagte er und sprang so heftig auf, dass der Liegestuhl zusammenklappte. »Du nimmst mich doch nicht auf den Arm, oder?«
    Sie spürte, dass sie errötete. »Ich ... soweit ich weiß. Nach dem, wie ... wie ich mich fühle. Und aus dem medizinischen Lexikon.«
    Er stand vor ihr, wippte mit verschränkten Armen vor und zurück und starrte sie an, und dann streckte er die Arme aus und legte ihr seine zitternden Hände auf die Schultern, als würde er sie segnen. Sie spürte die sanfte Berührung seiner Finger, dann glitten sie an ihren Armen entlang, und schließlich nahm er ihre Hände und drückte sie. »Du hast deine Periode nicht gekriegt?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Und morgens war dir übel? Das ist doch so, wenn man schwanger ist, oder?«
    »Ja«, sagte sie. »Ein bisschen.«
    Er zog sie aus dem Liegestuhl und umarmte sie so fest, dass ihr die Luft wegblieb. »Wir müssen zu einem Arzt, dem besten, den es gibt, und du musst ins Krankenhaus, denn hier kannst du kein Kind kriegen, ich meine, ich kann doch nicht ... ich bin kein Arzt, und ... und wenn es ein Problem gibt, irgendein Problem ...«
    Sie hielt ihn umarmt und wiegte sich mit ihm auf den knarzenden, ausgebleichten Dielen der Veranda hin und her, während der Wind ihr den Geruch des Meers zutrug und das leise Tremolo der grasenden Lämmer über die vergilbten Hügel zu ihr

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