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San Miguel: Roman (German Edition)

San Miguel: Roman (German Edition)

Titel: San Miguel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Kilometer entfernt, und der Weg führte bergab, so dass sie rasch vorankamen. »Glaubst du, es ist schlimm?« fragte sie ihn, aber er drehte sich nicht um und gab keine Antwort. Er war wütend, das war deutlich, und Reg tat ihr beinahe leid – aber nur beinahe, denn das, was auf ihn zukam, hatte er nur sich selbst zuzuschreiben.
    Als sie näher kamen, sahen sie das Pferd als Silhouette vor einem Meer stehen, dessen Specksteingrau nur wenig dunkler war als das des Himmels. Der Wind hatte sich gelegt, und Nebel zog auf. Reg stand, die Hände in den Taschen, einige Meter entfernt. Buck hielt den Kopf gesenkt, doch er graste nicht und schonte sein linkes Vorderbein.
    »Ich weiß auch nicht, was er hat«, rief Reg, als sie noch zwanzig, dreißig Meter entfernt waren. »Ich bin die Klippe entlanggeritten und hab nach Feinden Ausschau gehalten, und auf einmal hat er gelahmt.«
    Herbie ignorierte ihn. Er ging zu Buck und tätschelte seine Schulter, um ihn zu beruhigen. Mühsam hob Buck den Kopf, doch die Bewegung bewirkte, dass er sein linkes Vorderbein für einen Augenblick belastete, so dass er stolperte. Herbie kniete neben ihm nieder, strich langsam mit der Hand über das Bein, um zu sehen, ob es gebrochen war. Dann stand er auf und sagte noch immer nichts.
    Reg zündete sich eine Zigarette an und legte die Hände schützend um die Flamme. »Und?« sagte er. »Was meinen Sie?«
    »Geh mir aus den Augen«, fuhr Herbie ihn an.
    »Aber ich hab doch gar nichts gemacht. Sie haben selbst gesagt, er ist schon alt und – «
    »Geh! Hau ab!«
    Sie sahen, wie er seine Schultern straffte und sich zwischen den nassen Büschen hindurch entfernte. Er zog eine Rauchfahne hinter sich her und schlenderte, als wäre alles in schönster Ordnung.
    »Es ist gebrochen, nicht?« sagte sie. Er gab keine Antwort. » Mon amour «, sagte sie. » Parle avec moi .«
    Er schüttelte nur den Kopf. Buck setzte den Huf auf und zog ihn mit einem Ruck zurück, so dass er in der Luft hing. »Wir müssen ihn fünf, sechs Meter weiter da hinüber bewegen – zum Rand der Klippe«, sagte Herbie. »Kannst du die Zügel halten, während ich ihm den Sattel abnehme?«
    Da erst begriff sie, was er vorhatte. »Du willst ihn nicht begraben?«
    Seine Stimme war hart, als spräche er nicht mit ihr, sondern mit Reg oder Freddie oder dem Japaner in der weißen Jacke, der die Unverschämtheit besessen hatte, in ihrem Wohnzimmer zu sitzen, als wäre er ein menschliches Wesen: »Willst du das Loch graben? Herrgott, das würde eine Woche dauern.«
    Dann lag der Sattel auf der Erde, und von ihr geführt, bewegte sich Buck, auf drei Beinen humpelnd, zum Rand der steil zum Meer abfallenden Klippe. Buck war ein Pferd, nur ein Pferd, und er war steinalt, das wusste sie und wiederholte es sich, aber als Herbie die kleine schwarze Pistole – das Geschenk – aus der Tasche zog und dem Tier an den Kopf hielt, war es, als müsste sie selbst sterben.
    Sie hörte einen Schuss – oder vielmehr zwei Schüsse in rascher Folge – und sah Herbie zur Seite springen, als der große Rotschimmel umfiel und mit den Hufen schlug, und dann bröckelte die Kante der Klippe, und er war verschwunden.

DER UNFALL
    Herbie war wütend, er war fuchsteufelswild, und auf dem ganzen Weg zurück zum Haus murmelte und fluchte er vor sich hin und kam überhaupt nicht auf den Gedanken, ihr die Hand zu reichen oder ihr einen Arm um die Schultern zu legen – als zählten ihre Gefühle nicht, als hätte sie Buck nicht ebenso geliebt wie er. Buck war ein gutes, sanftes Pferd gewesen, und sollte er je so schwierig oder zickig gewesen sein, wie sein Name andeutete, dann war das vor ihrer Zeit gewesen. Sie wussten nicht mal, wer ihm diesen Namen gegeben hatte, oder wie er als Fohlen gewesen war – er war schon im besten Pferdealter gewesen, als sie zum erstenmal vom Strand zum Haus gekommen war, er hatte einfach zur Ranch gehört –, und obwohl sie eigentlich wusste, dass er irgendwann würde ersetzt werden müssen, vermied sie diesen Gedanken irgendwie. Beziehungsweise hatte sie ihn vermieden. Und jetzt musste sie den Schock verarbeiten, ihn von der Klippe auf die Felsen dort unten fallen zu sehen, nutzlos und weggeworfen, ein Fressen für die Raben und die Möwen und die großen roten Krabben, die mit der Flut kamen. Sie folgte ihrem Mann den langsam ansteigenden Hang zum Haus und zur Scheune hinauf – sie würde nicht weinen, nicht wegen einem Pferd, nein, das würde sie sich nicht erlauben. Ebensowenig,

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