Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
San Miguel: Roman (German Edition)

San Miguel: Roman (German Edition)

Titel: San Miguel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
Vom Netzwerk:
drehen, und die Ozeane sich sowenig bewegten wie das Wasser im Spülbecken.
    »Ich wollte, es wäre so«, sagte Edith. »Und noch besser wäre es, wenn die Indianer irgend etwas aus Gold gemacht hätten, aber Jimmie sagt, sie hatten kein Gold, nur Muscheln. Aber trotzdem sind sie hübsch, findest du nicht? Wenn ich genug davon finde, könnte ich mir eine Halskette daraus machen.«
    »Ja, natürlich«, sagte sie und erwärmte sich für die Idee, auch wenn diese Dinger ganz gewöhnlich aussahen. »Wir könnten sie auf ein Band fädeln. Was meinst du? Auf ein schwarzes. Oder ein dunkelblaues. Dunkelblau würde auch hübsch aussehen. Vielleicht könnte Ida dir ein kleines Stück von dem Band abgeben, das du ihr zum Geburtstag geschenkt hast.«
    Ein Geräusch auf der Veranda ließ sie beide aufsehen. Im nächsten Augenblick schwang die Tür auf, und Will – hinter ihm grelles Licht, vor ihm sein dunkler Schatten – kam in Strümpfen hereingestapft. Die Tür fiel wieder ins Schloss. »Minnie«, rief er dröhnend, »hast du gesehen, was Edith und ich gesammelt haben?« Über einer Schulter trug er einen Sack, der schwer zu sein schien und von mysteriösen Gegenständen ausgebeult wurde, die sich bei jeder Bewegung verschoben. »Und da gibt’s noch mehr, viel mehr – wir haben gestern eine richtige Goldgrube gefunden, aber wegen dieser verdammten Chinesen musste ich den größten Teil zurücklassen. Hier« – er stellte den Sack ab, in dem es klickte und rasselte –, »sieh selbst.«
    »Wir waren oben am Eagle Cave, und da waren Bilder auf die Felsen gemalt, und alles mögliche Zeug lag einfach so herum«, warf Edith ein. »Und dann, auf einem der Hügel« – sie wandte sich an Will –, »wie hieß der noch mal?«
    »Harris Point.«
    »Auf dem Harris Point haben wir einen ganzen Berg Muscheln gefunden, Tausende und Abertausende – alle möglichen Muscheln, die die Indianer seit Urzeiten gegessen haben müssen. Überall waren Gruben und Mulden, wo sie ihre Feuer gemacht haben, und da haben wir dann weitergesucht, bis wir die Gräber gefunden haben.«
    »Unter dem Sand. Der liegt da fast einen Meter hoch. Aber wir haben weitergesucht, stimmt’s, Edith? Weil wir wussten, dass wir etwas Großem auf der Spur waren.« Will griff in den Sack wie ein Zauberer, der im Begriff war, ein Kaninchen aus dem Hut zu ziehen, doch was er hervorholte – etwas Nacktes, Weißes, von Altersrissen durchzogen –, war kein Artefakt. Es war ein Knochen. Ein menschlicher Knochen. Er legte ihn auf das Regalbrett zu den anderen Sachen, und dann beugte er sich wieder über den Sack und kramte darin herum. Der Stoff schlug Wellen, als wäre der Inhalt zum Leben erwacht.
    Sie fuhr zurück. Mit einemmal war ihr heiß.
    Edith sagte: »Ich hab auch einen Knochen gefunden. Den hier, glaube ich.« Sie hob den rechten Arm und zog den Ärmel zurück. »Obwohl Jimmie sagt, es war eher der hier, dieser kleine.«
    Und jetzt wieder Will: »Da, das ist das Prunkstück.« Er hielt einen Schädel hoch, einen menschlichen Schädel, klein und kompakt und mit so kleinen Zähnen, dass es nur der eines Kindes sein konnte.
    »Aber ihr habt doch nicht etwa ... Das waren ihre Gräber. Ein Friedhof, Will. Ein heiliger Ort.«
    Er legte den Schädel vorsichtig auf das obere Brett und schob die Steinschüssel ein Stück beiseite, so dass der Schädel in der Mitte stand. »Ja«, sagte er über die Schulter, »so eine Art Friedhof wahrscheinlich. Aber bestimmt kein heiliger Ort. Jedenfalls nicht, solange nicht einer der spanischen Missionare ihn geweiht hat, und warum hätte er das tun sollen? Eigentlich weiß keiner so genau, was hier draußen passiert ist – da gibt’s nur Legenden und so weiter.« Er drehte sich zu ihr um und breitete beschwichtigend die Hände aus. »Es waren doch Indianer. Bloß Indianer.«
    Der Regen kehrte zurück. Die Hügel wurden grüner, das Meer grauer. Die Schafe legten sich ein dickes Fell zu. Kaffee, Zucker und Mehl wurden knapp. Der Wind wehte beständig. Der März kroch so langsam dahin, dass sie begann, die Tage auf dem Kalender auszustreichen, und dabei drückte sie so fest auf, dass die Bleistiftspitze das Papier zerriss, und dann kam der erste April, und der dazugehörige Scherz ging auf ihre Kosten, denn Curner war nicht gekommen, die Wolle war nicht abgeholt worden, und es gab keine Nachricht von Nichols, ob er einen Manager gefunden hatte, der diesen Posten hier draußen übernehmen konnte, so dass sie frei wären. Es regnete

Weitere Kostenlose Bücher